Geschichten aus dem Main-Tauber-Kreis - „Günther Emigs Literaturbetrieb“ hebt fast vergessenen Sagenschatz / Lektüre nicht nur zur Rauhnachtszeit

Geister, Hexen und feurige Männer

Von 
Inge Braune
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Günther Emig aus Niederstetten hat einen echten Sagenschatz wieder entdeckt und zugänglich gemacht. © Inge Braune

Sagen aus dem Main-Tauber-Kreis hat „Günther Emigs Literaturbetrieb“ ausgegraben: Gut 120 heimliche und unheimliche Geschichten kamen zusammen.

Niederstetten. Wenn einer auf den Niederstettener Schlossberg zieht, noch dazu einer, der sich schon als Jüngling für alles, was erzählt und erdichtet wurde, interessierte, nimmt es nicht Wunder, dass der sich für Geschichte und Sagen aus der neuen Heimatregion interessiert.

„Der“ ist Günther Emig und er nimmt sich in seinem Verlag „Günther Emigs Literaturbetrieb“ Texten der Moderne und der Gegenwartsliteratur ebenso an wie der Literaturwissenschaft und dem Bereich „Regionalia & Co“.

Da hat er unter anderem Gertrud Zelinsky verlegt, Ottmar F. H. Schönhuths „Die Letzten von Hohenlohe-Brauneck“ und „Die Gründung der Theobaldskirche“ neu herausgebracht und Hartwig Behrs Band „Zur Geschichte des Nationalsozialismus im Altkreis Mergentheim 1918-1949“ einem breiten Leserkreis zugänglich gemacht.

Und er hat immer wieder nach alten Sagen und Überlieferungen aus dem Main-Tauber-Kreis gefahndet, Oberamtsbeschreibungen und Archivalien studiert, mal hier ein Schnipselchen, da eine Kleinigkeit entdeckt. Die Quellenlage blieb lange karg, ihm schlicht zu wenig für ein Buch. Und dann, antiquarisch, die Entdeckung: ein Sagenband.

Mit Ortsregister

Ein Einzelexemplar, seit einem Vierteljahrhundert vom Markt; eine Sagenauswahl aus dem heutigen Kreisgebiet, gesammelt, ausgewählt und bearbeitet von Ulrich Dallmann und Roland Veith, ein Band, mutmaßlich gedacht für die Schülerschaft, Heimatkunde.

Der Band entpuppte sich als wahres Sagen-Schatzkästlein und lange vermisste Lektüre für Heimat- und Kulturinteressierte. Kurz entschlossen setzte sich der Verleger mit den Autoren in Verbindung, schlug vor, das Werk nun einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen. Die gaben gern ihr Placet, und Emig machte sich ans Werk.

Entstanden ist der gut 220 Seiten starke Sagenband „Von Schatzgräbern, Geistermessen, Aufhockern und feurigen Männern – Sagen aus dem Main-Tauber-Kreis“, der sich nicht nur für die anstehenden Rauhnächte zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag als Lektüre anbietet.

Da aber ganz besonders, denn etliche der Sagen spielen genau in dieser Zeit des Jahres. Es ist die Zeit des Wahrsagens und Geisterns, die Zeit, in der sich die Altvorderen vorm Unwesen der „Wilden Jagd“ fürchteten, wo Dunkelheit, Wind und Wetter dazu zwang, sich in die Stuben zurückzuziehen und zu erzählen.

Gut 120 Sagen zur Geschichte, zu Sühnekreuzen, Orts- und Flurnamen, Gemarkungsgeister, Riesen, wilde Leute, Schatzgräber, Klopfgeister, Teufel, schwarze Hunde, Feuergestalten, Aufhocker, Wassergeister und Totenerscheinungen haben Dallmann und Veith gesammelt, ab- und aufgeschrieben, bearbeitet, gekonnt thematisch zusammengefasst und mit einem gut 80 Namen umfassenden Ortsregister versehen, in dem auch Kundige der Region noch manchen Ortsnamen entdecken werden, den sie noch nicht kannten.

Warnung vor Gier und Hochmut

Von Lichtlein und Glockenklang, das Verirrten den Heimweg weisen, ist die Rede, von Klopfgeistern, die künden, wie das nächste Weinjahr wird, von Schätzen, die sich nie und nimmer erreichen lassen ebenso wie von solchen, die sich Gutwilligen ganz einfach herschenken. Nicht jeder Geist, auch wenn er ängstigt, ist böse: gar mancher hilft, sogar in feurigem Gewand, Fuhrleuten, die sich festgefahren haben. Sagen ranken sich um Kirchen, Kapellen und Burgen, und gute Menschen ebenso wie um Nichtsnutze.

Sie warnen vor Stolz-, Hoch- und Übermut, vor Gier und Geiz ebenso wie vor gefährlichen Wegen, sie sprechen von Mut und Gottvertrauen, von Wundern und Schicksalen, die sich wenden können, zum Guten wie zum Schlechten. Auch, wer bereits den Beistand unirdischer Helfer erfuhr, kann sich nicht sicher sein, dass es so bleibt: Da reicht, wie bei der Markelsheimer Klosteroberin Himmeltrud, die sich als letzte und einzige während des Bauernsturms im Klösterchen auf dem Engelsberg verschanzte und von Engeln gespeist wurde, ein einziges, wenn auch menschlich noch so nachvollziehbares Fehlen, und aus ist’s mit dem Schutz.

Manches ist einfach nur köstlich skurril, wie der aus Dittwar über lieferte „Hexenritt“ des Nagelschmieds. Nein, Einzelheiten werden hier nicht verraten. Anderes kommt schön und romantisch daher wie die aus Niklashausen überlieferte Sage von der wilden Frau, die Kindern Kuchen schenkt. Recht grausig wird’s bei den Reicholzheimer Streitäckern, doch auch andernorts wird von Eifersucht, Mord und Totschlag berichtet. In Wertheim geisterte, so die Sage, ein Kapuziner lang und besonders in der Adventszeit nachts durch die Straßen, ein trinkfreudiger Geselle ganz offenbar, der sich nicht einmal scheute, den Messkelch zum Zechen zu missbrauchen, und in Distelhausen spukte ein Reiter mit dem Kopf in den Händen. Die Sagen warnen kreuz und quer durchs heutige Kreisgebiet vor Glaubensfrevel ebenso wie vor weltlichen Missetaten.

Zu schade, wird nach der Lektüre der eine oder die andere denken, dass diese Sagen in Vergessenheit fielen. Etliche Lehren täten auch heute noch gut. Aber wer weiß, jetzt sind sie ja wieder zu lesen, und vielleicht trägt der von Emig gehobene Sagenschatz Früchte. Für den Verleger wär es das schönste, wenn der Band weitere Menschen anregen würde, sich selbst auf die Suche nach regionalen Sagen zu machen.

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