Lauda-Königshofen. Paul Faulhaber, langjähriger Rektor der realschule Lauda-Königshofen, schildert im zweiten Teil seiner Erlebnisse aus den letzten Kriegstagen die Verlegung von Walldürn ins Hohenlohische sowie das Ende des Zweiten Weltkrieges.
Mit italienischen Karabinern schlecht ausgerüstet, die Panzerfäuste und unsere wenigen Habseligkeiten auf Leiterwägelchen geladen, zogen wir "Soldaten" in Nachtmärschen durch Wälder und Felder unserer fränkischen Heimat bis vor Crailsheim. Hier erlebten wir die grauenvolle Zerstörung der Stadt durch alliierte Flugzeugverbände mit. Ich sehe noch heute vor mir, wie die Bomben aus den Maschinen ausgeklinkt wurden, sie erst waagrecht, dann senkrecht vom Himmel fielen und uns nichts anderes übrigblieb, als zu beten.
Nachts ging es dann zu Fuß weiter, immer abwechselnd die Leiterwägelchen ziehend. Da wir keiner deutschen Kampftruppe angehörten, mussten wir bei den Bauern um eine Mahlzeit, wie kümmerlich sie auch war, im wahrsten Sinne des Wortes betteln. So kamen wir nach Nördlingen. Hier sollten wir diese wunderschöne mittelalterliche Stadt verteidigen. Die dortigen Volkssturmmänner aber verhinderten dies, ("haut ab, sonst schießen wir auf euch!" ). Nicht einmal Brot zum Essen gaben sie uns! So blieb Nördlingen zum Glück von allen Kampfhandlungen verschont.
Wir fuhren mit dem Zug nach Mindelheim, rund 60 Kilometer südlich von Augsburg, auf die Burg Frundsberg, einstmals Sitz des Anführers der Landsknechte. Hier wurden wir neu eingekleidet, das heißt, wir bekamen Schuhe und von der Waffen-SS einen Tarnanzug. Nach einigen Tagen ging es mit dem Zug zurück nach Harburg. Auch diesmal wieder wurden wir auf einer Burg, der Harburg, untergebracht, eine der besterhaltenen und größten Burganlagen Süddeutschlands. Dafür konnten wir uns aber nicht interessieren.
Eine sehr harte Zeit
Es begann nun für uns alle eine sehr harte Zeit. Wir wurden mit einer größeren Gruppe Jugendlicher aus dem Schwäbischen zusammengelegt und in das neugegründete " 1. HJ-Panzernahbekämpfungsbataillon Gau Schwaben" eingegliedert". Da die HJ kein Kombattantenstatus besaß, Kombattanten sind nach dem Völkerrecht Personen, die unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Konfliktes zu Kriegshandlungen berechtigt sind, erhielten wir Ausweise, die uns als Angehörige des Volkssturmes auswiesen. Diese deutsche militärische Formation unterstand der Waffen-SS und der NSDAP. Zur Tag-und Nachtzeit ging unsere militärische Ausbildung in strengster Zucht auf der Harburg weiter.
Als die Front sich näherte, wurden wir am 20. April 1945 nach Donauwörth verlegt. Unser HJ-Panzernahbekämpfungsbataillon, bestehend aus rund 16 bis 17-Jährigen, bekam den Auftrag, die Brücke über die Donau gegen die anrückenden amerikanischen Panzer zu verteidigen.
Wir feuerten mit unseren Gewehren, unterstützt durch Maschinengewehre und Granatwerfer regulärer deutscher Truppen, auf die am anderen Ufer stationierten amerikanischen Streitkräfte, aber ohne großen Erfolg. Plötzlich wurde die Brücke über die Donau von unserer Seite aus gesprengt. Damit war unser Auftrag erledigt und wir zogen uns zurück. Beim Rückzug in Richtung Augsburg wurde ich durch angreifende "Jabos" verwundet. Man brachte mich mit einem Pferdewagen ins Lazarett "Kloster Holzen". Nachdem zwei kleinere und ein größerer Granatsplitter entfernt worden waren, wurde ich in einen Saal mit rund 25 verwundeten Soldaten gelegt. Als jüngster "Soldat", und dazu noch stark unterernährt, bekam ich, auf meinen Wunsch hin, eine Schüssel Grießbrei als Zwischenmahlzeit. Hier im Lazarett erlebte ich auch am 8. Mai 1945 das Kriegsende.
Ein besonderes Erlebnis hat sich mir, neben vielen anderen, noch eingeprägt. Fast genesen, ging ich im Klosterpark spazieren.Dabei näherte ich mich einem der Eingangstore zum Kloster, vor dem ein amerikanischer Panzer zur Bewachung stand. Neugierig ging ich darauf zu. Plötzlich öffnete sich die Panzerlucke und es stieg ein farbiger amerikanischer Soldat heraus. Vor Schrecken blieb mir fast das Herz stehen. Ich hatte noch nie einen "Schwarzen" gesehen.
In der Ausbildung hatte man uns von Gräueltaten berichtet, die sie verüben würden. Ich hatte Angst! Aber es kam ganz anders. Freundlich lächelnd kam der "Ami" auf mich zu, reichte mir eine Tafel Schokolade und eine Banane. Mit meinem "Schulenglisch" versuchte ich ein Gespräch. Dabei erfuhr ich von ihm Dinge über Nazideutschland, wie er es nannte, die mir, und den meisten von uns, völlig unbekannt waren. Hier hörte ich erstmals von Konzentrationslagern, den grausamen Judenmorden und anderen nationalsozialistischen Schandtaten. Wir trafen uns am Eingangstor jeden Tag, solange er am Kloster stationiert war. Immer brachte er mir zu den Gesprächen Schokolade und manchmal sogar "Amizigaretten" mit. Im Frühherbst 1945 wurde ich entlassen mit einem Ausweis des amerikanischen Lazarettkommandanten. Auf ihm stand: "Entlassen zur Arbeit im nächsten Dorf "next village". Angezogen mit dem Lazarettanzug, darüber meine Uniform aus der HJ-Zeit, natürlich ohne Abzeichen, und einem französischen Militärmantel machte ich mich zu Fuß auf den Heimweg.
Nachts schlief ich, wie schon gewohnt in Scheunen bei den Bauern. Bei der Kontrolle durch die Amerikaner zeigte ich meinen Ausweis vor: "Next village". So war ich doch einige Zeit unterwegs und schon fast zu Hause. Aber bei Bad Mergentheim wurde ich genauer kontrolliert und das "next village", "nächstes Dorf", nützte mir nichts mehr. Ich wurde, mit einigen anderen ehemaligen Soldaten auf die amerikanische Kommandantur gebracht. Hier war es wieder ein farbiger amerikanischer Soldat, der mir zur Rettung wurde. Während alle anderen in ein Kriegsgefangenenlager kamen, sagt er nur drei Worte: "Let him go", "lass ihn laufen", wohl aufgrund meiner Jugend.
Einige Stunden später erreichte ich Grünsfeld, nach einem Fußmarsch von fast 200 Kilometern, und war glücklich, meine Mutter gesund in den Armen zu halten.
Diesen, wenn auch bestimmt nicht lückenlosen Bericht, habe ich als nun 86-jähriger Zeitzeuge verfasst, zum Gedenken an Kameraden und Freunde, die nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten. An eine Jugendzeit, die heute, besonders auch jungen Menschen als nicht begreifbar erscheint. Besonders aber, um 70 Jahre nach Kriegsende bewusst zu machen, dass sich so etwas nie mehr wiederholen darf.
Zitieren möchte ich zum Schluss John F.Kennedy: "Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende." Paul Faulhaber
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