Anneliese Schmidt und Rudi Schlecht stehen seit 40 Jahren auf der Bühne – sie gehören damit quasi zum „Inventar“ des Theaters Hollenbach. Am 4. Januar geht es in die neue Saison.
Hollenbach. Ab 4. Januar stehen sie wieder auf der Bühne: Anneliese Schmidt als „Frau Simmerling“ und „Tante Else“ gleich in zwei Rollen, Rudi Schlecht als Helmut Kirchner, Notar im Ruhestand. Seit September laufen beim Theater Hollenbach die Proben für „Wer hat Angst vorm weißen Mann?“
Dass die Herbst- und Winterwochenenden dem Theater gehören, sind die beiden Hollenbacher Theater-Urgesteine seit vier Jahrzehnten gewohnt. Damals, 1979, brauchte der Sportverein Geld. Wie rankommen? Es wurde hin und her gegrübelt in der 500-Einwohner-Ortschaft. Da gab es doch diese alte Tradition, im Winter bei Jahresfeiern Theaterstückchen aufzuführen. Anne Schmidts Mutter Emma hatte da früher öfter mitgemacht. Keine Frage also, dass die Tochter, damals Anfang 30, mitziehen würde. „Der Dorfteufel“ hieß das erste Stück, in dem sie auf der Bühne stand. Rudi Schlecht kam ein Jahr später dazu, beim „Hörrohr“, einem Stück des Ohnsorg-Theaters. Mitte 20 war er da. Anne Schmidt blättert durch ihr Theateralbum – und amüsiert sich köstlich darüber, dass sie das Kopftuch, das sie heuer als Frau Simmerling, Kundin der Metzgerei trägt, tatsächlich bereits bei der „Hörrohr“-Aufführung 1980/81 auf dem Kopf hatte.
Bei der Suche nach Darstellern musste die Gruppe nicht viel Überzeugungsarbeit leisten: Schließlich ging es um den im Ort fest verwurzelten Verein, und den jungen Sportlern mangelte es weder an Selbstbewusstsein noch an Mut zum Risiko. Also: Rein in die Stücke, rauf auf die in den Wirtschaften Lamm, Adler und Krone improvisierten Bühnen.
Aus der Notidee Theater wurde bald Leidenschaft, aus noch locker-heiterem Anfang bald eine immer anspruchsvollere Amateurgruppe, die auch überregional Aufmerksamkeit fand. Verrisse gab es und Lobeshymnen, neue Talente fanden den Weg in die Truppe – und von lieb gewonnenen Mitspielern musste man sich verabschieden. Am bittersten traf die Gruppe der Tod von „Figaro“ Fritz Sprügel, der in der Saison 2004/05 eigentlich die Hauptrolle spielen sollte. Die Saison wurde abgesagt, das geplante Stück nicht wieder aufgegriffen.
Im Jahr darauf stand Anne Schmidt als böse Pflegeoma in Horváths „Wienerwald“ wieder auf der Bühne, Rudi Schlecht dann 2006/07 in Molnars „Liliom“. Es habe sie einfach immer wieder gereizt, auf der Bühne als jemand ganz anderes aufzutreten, in eine ganz andere Rolle einzutauchen, einen anderen Charakter zu verkörpern, berichtet Anne Schmidt. Sie stammt aus der Landwirtschaft, bewährte sich jahrzehntelang als einzige Frau im Dreherei-Schichtbetrieb und verfügt schon aus der Alltagserfahrung über ein breites Erfahrungs- und Ausdrucksspektrum. Trotzdem: jede Rolle übernahm sie dann doch nicht im Lauf ihrer vier Theaterjahrzehnte. In der Saison 1999/2000, als die Hollenbacher Truppe unter der Regie von Frieder Münz Felix Mitterers „Kein Platz für Idioten“ auf die Bühne brachte, stieg sie aus: Eine so eiskalt böse Person wie die Mutter, die den behinderten Sohn ablehnt, fand sie, die durchaus abonniert ist auf die knorrigen, grantelnden, spitzzüngigen Rollen, einfach zu konträr zu ihrer Natur. Sonst aber war sie fast immer dabei.
Texte pauken
Die teilweise immensen Textmassen neben der Schichtarbeit zu pauken: kein Kinderspiel. Beim Kartoffelschälen, Plätzchen backen oder Bügeln lief der Kassettenrekorder – hören, mitsprechen, wieder und wieder. Als Marlies in „D’r Hitzeblitz“, als Mutter Bendler in „Dorfidylle“, als bissige Schwiegermutter in „Lila“ stand sie auf der Bühne. Eine der forderndsten Rollen dürfte die Gestalt der ins Altersheim abgeschobenen Mutter in Harald Müllers 90-minütigem Zweipersonenstück „Stille Nacht“ gewesen sein: Unglaublich intensiv gestaltete sie gemeinsam mit Bühnenpartner Julian Gräf als Sohn die immens textlastige Rolle.
Derart große Rollen, so Rudi Schlecht und Anne Schmidt, wollen sie heute nicht mehr übernehmen. Ihren Hut ziehen sie vor Gerhard Sprügel, ebenfalls eines der Hollenbacher Theater-Urgesteine, der in der aktuellen Saison die mit rund 230 Einsätzen gespickte Hauptrolle als rassistischer Metzgermeister schultert.
Rund 40 drei- bis vierstündige Proben hat er, der die Truppe nach einem Theaterbesuch in Dinkelsbühl auf die bereits verfilmte Komödie von Dominique Lorenz heiß machte, absolviert. Neun Vorstellungen werden sie noch gemeinsam absolvieren, eine davon als von Sprügel persönlich gebuchte geschlossene Sondervorstellung. Das mache man doch gern in der Theaterfamilie, betonen Anne Schmidt und Rudi Schlecht. Bei ihm hat der Begriff „Theaterfamilie“ eine besondere Bedeutung: Die halbe Familie hat der gelernte Landwirt und Mitarbeiter einer Steuerberatungsgesellschaft fürs Theater auf und hinter der Bühne begeistert. Mit Sohn und Schwiegertochter stand er schon auf der Bühne, und auch die Enkelgeneration wurde eingespannt: Mächtig Spaß habe es ihnen gemacht, zur im russischen Sarafan-Hängerchen auftretenden tanzenden Kindergruppe der Warkentin-Inszenierung von Gogols „Revisor“ zu gehören. Eingespannt wird in der 500-Seelen-Gemeinde fast jede Familie. Da wird natürlich jedes Stück – und die Truppe scheut sich nicht, aktuell umstrittene Themen aufzugreifen – heiß diskutiert. Für Gesprächsstoff sorgten natürlich Zwischenfälle, wie sie schon mal bei Gastspielen vorkommen: Beim nächtlichen Rücktransport von Requisiten nach einer Aufführung etwa wurde Rudi Schlecht von der Polizei gestoppt, die ihn verdächtigte, eine Baustelle „abgeräumt“ zu haben.
Die Komödie „Wer hat Angst vorm weißen Mann“ feiert am Samstag, 4. Januar, in der Hollenbacher Dreschhalle Premiere.
Weitere Aufführungen der von Maria Warkentin inszenierten Komödie folgen am 5, 11., 12., 17., 18. 24. und 25. Januar. Beginn ist bei den Aufführungen an den Sonntagen (5. und 12. Januar) um 18.30 Uhr, sonst um 19.30.
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