Erinnerungs- und Sühnekreuze - Auch wenn das eine oder andere verschwunden ist, stehen sie noch zahlreich an Weg- und Straßenrändern

Steinere Zeugen in der Landschaft

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Sühnekreuze an der Wolfgangsbrücke in Bad Mergentheim.

© Tillmann Zeller

Bad Mergentheim. Sie verschwanden nach der Flurbereinigung, wurden bei Bauarbeiten zerstört, beim Straßenbau zerschlagen und als Trittstein verwendet. Jedoch stehen noch viele Steine am Weg, zum Gedenken an Untaten; sie erzählen dem, der ihnen zuhört die Ballade von Sühne und Schuld. Geheimnisumwittert sind die Erinnerungs- und Sühnekreuze, die steinernen Zeugen in der Landschaft.

Wenn jemand vor etwa 500 Jahren einen andern Menschen umbrachte, musste er eine Wallfahrt antreten, der Familie des Opfers eine Entschädigung zahlen, Messen lesen lassen und ein Steinkreuz entweder am Ort des Totschlags oder an der Wegkreuzung aufstellen, ein Sühnekreuz.

In der damaligen unruhigen spät- und nachmittelalterlichen Zeit waren tätliche Auseinandersetzungen an der Tagesordnung. Es gab noch kein staatliches Rechtsmonopol und keine anerkannte Gerichtsbarkeit. Es herrschte das Faustrecht, das hieß, man setzte seine Vorstellungen auf eigene Faust und häufig mit Gewalt durch. Wurden solche gewalttätigen Vorhaben planmäßig und mit Helfern durchgeführt, war dies ein Privatkrieg, Fehde genannt. Die Selbstjustiz und das Tragen von Waffen waren üblich, so kam es zu häufigen, manchmal unbeabsichtigten Tötungsvorgängen.

Die damalige Reaktion war die Blutrache. Ein todbringendes Vorgehen wurde mit einem ebenfalls tödlichen Gegenangriff beantwortet. So begann damals eine Spirale der Gewalt.

Als Lösung des Konflikts besann man sich auf alte germanische Volksrechte. Sie sahen Versöhnungsmaßnahmen als Schadensersatz nach Totschlag vor. So wurden die Hinterbliebenen mit Schadensersatzleistungen beruhigt und Rachetaten vermieden. Mit der Einführung der Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. 1533 wurden private Abmachungen nicht mehr geduldet, an ihre Stelle trat das ordentliche Gericht, das den Täter nach dem neuen Recht verurteilte. Mit der Einführung dieses neuen Rechtes wurden die Sühneverträge zwar offiziell abgeschafft, lebten jedoch je nach Landessitte noch durch das ganze 16. Jahrhundert fort; erst das 17. Jahrhundert räumte mit ihnen endgültig auf.

In ganz Mitteleuropa sind Sühnekreuze zu finden. In Baden-Württemberg sind noch ungefähr 1000 Kreuze von einst 1500 Denkmalen zu entdecken. Die meisten verschwanden zwischen 1850 und 1945. Der ursprüngliche abergläubische Schutz, der Spuk und Krankheit nach der Beseitigung eines Kreuzes verhieß, ging verloren.

Steinkreuze sind in gleicher Fülle in evangelischen und katholischen Gemeinden zu finden, auch zeigen ursprüngliche Herrschaftsgrenzen keinen Einfluss auf die Verbreitung. Bezogen auf die Fläche weist der Main-Tauber-Kreis die meisten Steinkreuze in Baden-Württemberg auf. Ungefähr 100 sind im nordöstlichen Kreis zu finden. Allerdings sind auch über 30 verschwunden.

Diese Dichte an diesen Kulturdenkmalen hat verschiedene Ursachen. So ist der Waldanteil unterdurchschnittlich, dagegen ist der Anteil von der Landwirtschaft genutzter Fläche sehr hoch. Die Besiedlungsdichte ist mit 100 Einwohnern pro Quadratkilometer die niedrigste des Landes. So blieb die ursprüngliche Kulturlandschaft ohne starke Störungen durch großflächige Wohn- oder Industrieflächen erhalten.

Das größte Steinkreuznest der Welt ist in Reicholzheim zu entdecken. Wurden mehrere Kreuze in der Folgezeit an einen Aufstellungsort umgesetzt, spricht man von einem Steinkreuznest. Der ursprüngliche Sachverhalt der Einzelkreuze wurde vergessen und es entstanden Sagen, in denen nun mehrere Personen eine Rolle spielen.

Im untern Taubertal bei Reicholzheim ist das Steinkreuznest zu bewundern. 14 Buntsandsteinkreuze unterschiedlicher Art, die zudem in einer Mauer stehen, sind ein Hinweis, dass sie aus verschiedenen Standorten stammen. Zusätzlich trägt die Weinbergsmauer eine Barockmater von 1722. Diese einmalige Häufung von Sühnekreuzen regte zu vielerlei Deutungen und Sagen an. So hätten sich bei Tanzmusik 14 junge Männer im Streit um ein Mädchen gegenseitig erschlagen. Bis zu einem tiefer gelegenen Kreuz sei das Blut geflossen. Etwas anders wird von 13 Burschen berichtet, die sich gegenseitig umbrachten. Der Bruder des Mädchens war so wütend, dass er seine Schwester auch noch tötete. Zudem soll dort in dunklen Nächten ein Mann umgehen und sein Unwesen treiben. Wie ein schwerer Klotz steigt er den Passanten auf den Rücken und lässt sich eine Weile mittragen.

Gleich mehrfache Sühne bezeugen die Kreuzigungsgruppe an der Wolfgangsbrücke, die von den Mergentheimer Bürgern aufgestellt werden musste, nachdem sie sich gegen die Herrschaft des Deutschen Ordens aufgelehnt hatten und die sechs Sühnekreuze. Die Kreuze standen ursprünglich in der Kapelle, dann in einer Mauer und wurden 1975 in veränderter Reihenfolge aufgestellt. Weil ein Kreuz eine leicht geöffnete Schneiderschere als Relief zeigt, meint die volkstümliche Überlieferung, hier hätten sich Handwerksburschen erschlagen. Einer wäre Schneider gewesen. Häufiger verbreitet ist der Bezug zum Bauernkrieg. An dessen Ende wurde in Mergentheim ein Blutgericht vollzogen, bei dem einige Anführer dort hingerichtet wurden. Sogar die neuere Zeit wird damit in Verbindung gebracht. Als 1809 die Stadt württembergisch wurde, gab es von den Franken Widerstand, der mit Todesurteilen niedergeschlagen wurde. tze

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