"Pro Wertheim" - Die jüdische Stadtgeschichte ist nun optisch noch besser wahrnehmbar / Pflasterarbeiten abgeschlossen und zwei weitere Informationstafeln angebracht

Neuplatz in einen Gedenkort verwandelt

Von 
Uwe Bauer
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Der Verein "Pro Wertheim" hat mit dem Einsetzen von neuen Pflastersteinen, die den Grundriss der im Jahr 1971 abgerissenen Mikwe darstellen, und dem Anbringen von zwei weiteren Informationstafeln am ehemaligen Standort des religiösen Gebäudes sein Projekt "Gedenkort Neuplatz" rechtzeitig vor dem 75. Jahrestag der sogenannten "Reichspogromnacht" am 9. November abgeschlossen.

© Uwe Bauer

Wertheim. Mit den Unterschildern "früher Judengasse" an den Straßenbezeichnungen wie "Wehrgasse" und "Gerbergasse" fing es an, mit dem Anbringen von zwei weiteren Informationstafeln und der Vollendung der Pflasterarbeiten am Neuplatz endete nun das Projekt "Gegen das Vergessen", das der Bürgerverein Pro Wertheim initiiert hat. Gestern informierten die Vorstandsmitglieder Gerd Brander und Werner Peschke vor Ort über den Abschluss dieses Projekts, aber auch über das bereits angestoßene neue Vorhaben an der Marienkapelle (siehe weiteren Artikel).

Rund um den Neuplatz war einst das jüdische Viertel der Stadt Wertheim. Dort stand die letzte Synagoge der jüdischen Gemeinde und auch eine Mikwe samt Tauchbad. Die Synagoge wurde 1961 abgerissen, die Mikwe zehn Jahre später. Unterirdisch noch vorhanden sind zumindest noch Reste des Tauchbades.

Da mit der Synagoge und der Mikwe zwei der letzten religiösen Gebäude der einstigen jüdischen Gemeinde nicht mehr existieren, wollte der Verein Pro Wertheim mittels eines archäologischen Fensters optisch wenigstens einen Teil davon der Nachwelt erhalten.

"Gedacht war unsererseits daran, dass man eine bestimmte Stufenzahl zu dem ehemaligen Tauchbad geöffnet hätte", sagte Werner Peschke. "Uns schwebte dann vor, an dieser Stelle einen Korpus aus Metall, über den man nicht hätte fahren können, zu errichten mit einer Glasplatte darüber, durch die hindurch man in die Tiefe hätte schauen können, eben auf die bereits erwähnte Öffnung mit den Stufen."

Es gab allerdings Bedenken seitens der Politik aufgrund der Nutzung des Neuplatzes mit Verkehr, Anlieferungen und bei Festlichkeiten. Deshalb wollte die Stadtverwaltung am Neuplatz keinen Korpus, auch aufgrund von Rangierschwierigkeiten beispielsweise des Anlieferverkehrs und, weil der Neuplatz inzwischen auch ein kultureller Treffpunkt ist.

Das Entgegenkommen der Stadtverwaltung, also von Oberbürgermeister Stefan Mikulicz, war, wie Peschke weiter informierte, dass man ebenerdig eine Glasplatte in den Boden am Neuplatz einlassen könnte. "Bei diesem Vorschlag kamen uns aber Bedenken, weil wir der Auffassung sind, dass dann die erforderliche Würde fehlen würde bei der Vorstellung, dass Pkw auf dieser Glasplatte, die einen Einblick zu den genannten Treppenstufen des Ritualbades ermöglicht hätte, parken würden oder bei Festlichkeiten Biertische aufgestellt werden. Daher haben wir uns von diesen Gedanken verabschiedet und uns entschlossen, das Projekt jetzt abzuschließen, indem wir zwei weitere Informationstafeln anbringen."

Die sind nun an dem Wohnhaus zu sehen, das an eben jener Stelle steht, an der früher auch die Mikwe zu finden war, die im Jahr 1662 erstmals urkundliche Erwähnung gefunden hatte.

Auf dem Neuplatz sind - dank eines Material-Farbkontrasts auf dem Straßenpflaster - auch die Konturen des Grundrisses der Mikwe und ein "Schattenwurf" des ehemaligen Synagogen-Gebäudes zu erkennen. "Es handelt sich dabei um einen Abendschatten der Erinnerung, der den Untergang jüdischen Lebens symbolisiert", hatte Peschke im März im Gemeinderat dazu gesagt.

"Unser Ziel war es, ein dauerhaftes Erinnerungszeichen gegen den Naziterror zu setzen", so Peschke gestern, "als Mahnung gegen den schlimmsten Völkermord in der Geschichte der Menschheit." Mit den eingangs bereits erwähnten "Unterschildern", den insgesamt fünf Informationstafeln - zwei befinden sich am Gebäude der Stadtentwicklungsgesellschaft, eine im Innenhof des Steg-Gebäudes -, dem Anbringen eines Davidsterns in der Blickachse vom Neuplatz zu der Gedenkstätte in besagtem Innenhof und dem Aufbringen der Konturen der ehemaligen religiösen Gebäude auf dem Straßenpflaster ist das dem Verein Pro Wertheim in jedem Fall eindrucksvoll gelungen.

Die Akzente, die der Bürgerverein damit gesetzt hat, bleiben schon jetzt nicht ohne Echo. Da vor allem die amerikanischen Touristen gerne wissen möchten, welche Bedeutung die Texte auf den Informationstafeln haben, wird Pro Wertheim nun bald einen Flyer auflegen. "Die Übersetzungen ins Englische haben wir schon, Mitte November gehen wir an die Gestaltung", kündigte Werner Peschke an.

Im Dienste der Wissenschaft

Wertheim. Nachdem das Projekt "Gegen das Vergessen" am Neuplatz gerade abgeschlossen worden ist (siehe weiteren Artikel), steckt der Bürgerverein Pro Wertheim schon mittendrin in seinem nächsten Vorhaben, das gleichwohl wieder mit jüdischer Stadtgeschichte zu tun hat.

"Die Stadt Wertheim hat uns mitgeteilt, dass sie die Kosten von rund 1500 Euro für eine geophysikalische Untersuchung im Gewölbekeller unter der Marienkapelle bezahlt", informierten die Pro-Wertheim-Vorstandsmitglieder Gerd Brander und Werner Peschke gestern in einem Pressegespräch darüber, dass die Verwaltung mittlerweile offenbar überzeugt ist von der Bedeutung eines möglichen Fundes einer mittelalterlichen Mikwe.

Erste Hinweise

Einen ersten Hinweis darauf gab es im Jahr 1916, als der Münsterbaumeister Fr. Kempf aus Freiburg in der Zeitschrift "Die Denkmalpflege" in einem Artikel unter anderem die 1447 errichtete Marienkapelle als "insofern besonders beachtenswert" beschreibt, "als es merkwürdigerweise mit der noch älteren Anlage eines Judenbades in Verbindung steht. Der Zugang in den tief gelegenen Raum, zu dem eine steinerne Treppe hinabführt, befindet sich in einem kleinen umbauten Hofe."

Für die Wissenschaft wäre ein möglicher Fund von Resten einer Ritualbad-Anlage im Gewölbekeller der Wertheimer Marienkirche "bedeutungsvoll", schreibt Dr.-Ing. Katrin Keßler von der Bet Tfila-Forschungsstelle der Technischen Universität (TU) Braunschweig, die sich mit jüdischer Architektur in Europa beschäftigt.

"Dies wäre dann der bislang vergebliche gesuchte Beweis für eine enge Verquickung von Synagoge und Ritualbad in mittelalterlicher Zeit. Zudem wäre ein Fund schon aufgrund der bislang geringen Zahl von Funden jüdischer Ritualbäder aus mittelalterlicher Zeit wissenschaftlich bedeutend", so Keßler in ihrer Expertise vom 22. Juli 2013.

"Stadtbaumeister Armin Dattler hat uns angekündigt, dass die Prospektion noch in diesem Jahr durchgeführt wird", sagte Werner Peschke.

Ob bei dieser Prospektion - der Begriff stammt aus dem Lateinischen (prospecto: in die Ferne schauen, sich umsehen, spähen) und bezeichnet in der Archäologie das Erkunden und Aufsuchen von archäologischen Stätten im Boden - wirklich etwas "Bedeutungsvolles" zutage gefördert werden kann, bleibt freilich abzuwarten.

"Das wäre dann großes Pech"

"Hat sich das Ritualbad im westlichen Gewölbeteil befunden, sind wohl alle Spuren zubetoniert und wahrscheinlich für immer verloren", mutmaßte Werner Peschke, Denn an der beschriebenen Stelle der Marienkapelle wurde im Jahr 1971 eine Heizungsanlage und auch eine Betonwanne eingebaut.

"Das wäre dann natürlich großes Pech", meinte Gerd Brander. "Noch aber hoffen, wir, dass wir durch die Untersuchung zumindest Hinweise darauf erhalten, dass sich dort eine Mikwe befunden hat."

Sollte die Prospektion tatsächlich zu einem positiven Ergebnis, sprich: dem Nachweis eines jüdischen Ritualbades an dieser Stelle führen, steht, wie Gerd Brander meinte, dennoch weiter alles weitere "in den Sternen", da die bauliche Situation an der Kapelle so komplex ist. uwb

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