Jüdisches Leben in Messelhausen - Ehemaliger Bewohner Egon Mermelstein stattete seiner alten Heimat einen Besuch ab / 1783 kamen die ersten Juden in den Ort

Ihre Handelsbeziehungen waren gefragt

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Seltenes Treffen: Roswitha und Erwin Horn, Rita Walter, Maria Hiller, Elisabeth Hofmann (hinten, von links), Johannes Lippert, Anette Spieß, Rudi Hofmann, Egon Mermelstein, Hans Hiller und Willi Walter. Das ehemalige Wohnhaus von Helene Reiss in der Freiherr-von-Zobel-Straße (links) steht leer, die einstige Synagoge ist heute privat bewohnt.

© Mathias Spies (1) / Bianca-Pia Duda (2)

Messelhausen. Es sind inzwischen schon nahezu drei Jahrzehnte vergangen - es war im Jahr 1986 - dass Egon Mermelstein, ein Nachkomme ehemaliger jüdischer Bewohner seinem Heimatort Messelhausen einen Besuch abstattete. Damals begleitete ihn seine Ehefrau Jeany, die vor zwei Jahren verstorben ist.

Egon Mermelstein, Jahrgang 1934, der noch einen Zwillingsbruder namens Lothar hat, wurde in Schweinfurt geboren. Die Familie, der Vater war Rabbi (jüdischer Religionslehrer), die Mutter Hausfrau, wohnte in Frankenwinheim bei Schweinfurt, wobei die Zwillinge Egon und Lothar zeitweise bei ihren Großeltern Lazarus und Hermine Stein, geborene Wildberg, in der Kirchholzstraße in Messelhausen zu Hause waren. Im Haus wohnte noch Emma Fleischhacker, eine Schwester von Hermine Stein. Die beiden Letzteren wurden am 22. Oktober 1940 in das Konzentrationslager Gurs/Frankreich deportiert; eine weitere Person im Dorf, Helene Reiss, geborene Stein, wohnhaft in der Freiherr-von-Zobel-Straße 13, fand im Lager Recebedon (in der Nähe von Gurs) den Tod.

Vor dem Krieg in die Staaten

Die Familie Mermelstein emigrierte im August 1938 mit dem Schiff in die Vereinigten Staaten und entkam somit dem Holocaust. Egon Mermelstein lebt in New York (sein Bruder Lothar in Boston/Massachusetts) und lehrte an der dortigen Universität im Fachbereich Mathematik. Als Gastredner hielt er auch Vorlesungen in Deutschland an der Uni Heidelberg. Da Egon Mermelstein aufgrund seines Alters körperlich eingeschränkt ist, chauffierten die Tauberbischofsheimer Mathias und Anette Spies, die seit geraumer Zeit in engem Kontakt mit dem seltenen Gast stehen, zu den "Ausflugszielen." Nicht nur Messelhausen, auch das jüdische Museum in Würzburg und die Besichtigung der Synagoge in Wenkheim mit Pfarrer Gheraldin (Tauberbischofsheim) standen auf dem Programm.

Bei einem Treffen, zu dem Rita und Willi Walter eingeladen hatten, gaben sich ehemalige Nachbarn und Bewohner des Ortes ein Stelldichein. Anwesend waren unter anderem auch der ehemalige Chefkoch Rudi Hofmann vom Gasthaus "Deutsches Haus" sowie der Akademische Direktor i. R. Erwin Horn aus Würzburg. Zum Gasthaus "Deutsches Haus" wurde die einstige Synagoge 1933 umgebaut und wurde bis Ende der 80er-Jahre als solches genutzt. Egon Mermelstein freute sich über die Resonanz auf seinen Besuchs.

Verantwortlich für die Ansiedlung von Juden in Messelhausen waren die Freiherrn von Zobel. Das alte fränkische Adelsgeschlecht übte die Grundherrschaft über den Ort Messelhausen aus und hatte in der Umgebung weitere Besitztümer und Ländereien.

Die erste jüdische Familie - Faißt - wurde von Friedrich Karl Zobel 1783 hier aufgenommen. In diesem Jahr beginnt die Geschichte jüdischen Lebens in Messelhausen.

Die Begeisterung über die jüdische Niederlassung hielt sich jedoch in Grenzen. In der Pfarrchronik kann man lesen: "Den 10. Hornung 1783 ist dem Messelhausen, welches von jeher von allen Religionsvermischungen rein war, das Unglück begegnet, dass neben den Reformierten, deren eine ganze Haushaltung schon den 22. Dezember 1782 dahier angekommen war, auch eine Judenhaushaltung hier eingezogen ist. Die Familiennamen dieser Schutzjuden waren: Faißt, Strauß, Salba, Luck, Jakob, Stern, Reiss und Stein." Die ersten Juden waren sogenannte Schutzjuden. Das heißt sie bekamen durch die Freiherren von Zobel Schutzbriefe ausgestellt, die ihnen erlaubten sich in Messelhausen niederzulassen.

Schutzgeld gezahlt

Der Grund für die Ansiedlung von Juden waren die für die Zobel notwendigen Handelsbeziehungen. Die jüdischen Händler waren auf dem Land Bindeglied zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Und s o kam es, dass sich unter den Juden viele Stoff-, Vieh- und Lebensmittelhändler befanden, die den Handel in Messelhausen belebten. Gängige Berufsbezeichnungen waren: Handelsmann und Schmuser (Makler). Außerdem gab es im Ort einen jüdischen Tierarzt, eine jüdische Metzgerei und einige jüdische Landwirte.

Lange Zeit mussten Juden nicht nur Schutzgeld an die Freiherren von Zobel entrichten; sie mussten auch Frondienste leisten. Nachdem jedoch in vielen deutschen Staaten die Leibeigenschaft aufgehoben wurde, erlangten die Juden Anfang der 1860er Jahre vor dem Gesetz vollkommene Gleichberechtigung.

Die jetzt gleichberechtigten jüdischen Staatsbürger beteiligten sich genauso am öffentlichen Leben wie die christlichen Bewohner Messelhausens. Sie zahlten die gleichen Steuern und Versicherungsprämien wie Christen, wurden als Schöffen berufen, waren Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr und nahmen an Wahlen, wie der des Gemeinderats oder des Reichstags teil; zunächst nur die Männer, ab 1918 mit Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts, auch Frauen.

So wuchs die Zahl der jüdischen Bewohner Messelhausens kontinuierlich an, bis sie wohl Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts ihren Höchststand erreichte. Von Anfang an besuchten die jüdischen Kinder die christliche Ortsschule (1856 waren 9 von 76 Schülern der christlichen Schule jüdisch; 1876: 19 von 86). Den Religions- und Hebräischunterricht erteilten zunächst Lazarus Salba und die Eltern der Kinder.

Seit Ende der 1820er Jahre gab es einen Rabbi, einen jüdischen Lehrer für Religionsunterricht in Messelhausen, der zunächst in Privathäusern, dann in der Synagoge, die in den Jahren 1858/59 gebaut wurde, unterrichtete. Um die Jahrhundertwende (19./20. Jahrhundert) existierten in Messelhausen elf jüdische Haushaltungen, in denen um die 60 Juden lebten.

Offizielle Auflösung 1931

Die Schrumpfung der jüdischen Gemeinde hatte in Messelhausen zunächst nichts mit den Nationalsozialisten zu tun als vielmehr mit dem Bankrott der Freiherrn von Zobel. Durch Spielschulden in den Ruin getrieben, verkauften sie Anfang der 1930er Jahre das Schloss samt der großen Ländereien an die katholische Kirche. Der Augustinerkonvent Würzburg erwarb hiervon das Messelhäuser Schloss und gründete eine Ordensniederlassung, die im vergangenen Jahr aufgelöst wurde.

Doch schon vor dem Verkauf setzte unter den Messelhäuser Juden eine Auswanderungswelle ein. Durch das Fehlen der wichtigsten Abnehmer für ihre Waren hatten die Händler ihre Existenzgrundlage verloren. Im März 1931 wurde die jüdische Gemeinde in Messelhausen offiziell aufgelöst. Die Berufs- und Betriebszählungen der Jahre 1907, 1933 und 1939 zeigen, dass alle jüdischen Einwohner Messelhausens, die hier noch einen Beruf ausübten, schon innerhalb von etwa 25 Jahren vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten den Ort verlassen hatten. Am 17. Mai 1939 lebten in Messelhausen noch fünf ältere Juden, von denen allerdings keiner mehr einen Beruf ausübte.

Gedenktafel

Alle Verstorbenen der jüdischen Gemeinde von Messelhausen wurden im naheliegenden bayerischen Ort Allersheim beigesetzt. Die Toten wurden auf einem Wagen dorthin gefahren und dabei von einem Trauerzug begleitet. Auf dem Friedhof in Allersheim findet man zahlreiche Grabmale mit dem Vermerk "von Messelhausen" und auch viele aus Messelhausen bekannte Familiennamen.

Als Erinnerung und zum Gedenken an den Holocaust insbesondere die Deportation badischer Juden wurde auf dem Platz neben dem Rathaus ein Memoralstein sowie eine Gedenktafel aufgestellt. joli

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