Bad Mergentheim. Seit 1992 lebt Carl Gibson, geboren und aufgewachsen in Sackelhausen im Banat, in Bad Mergentheim. Gerade fertiggestellt hat er sein neuestes Werk: "Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und Dichtung (aus Antike, Renaissance und Moderne)".
Er war ein Revolutionär in Ceausescus Rumänien, opponierte gegen die KP, war Mitbegründer der ersten freien Gewerkschaft des Ostblocks und landete im Securitate-Knast. 1989 erschien seine Lenau-Biografie. Im Doppel-Werk "Symphonie der Freiheit" und "Allein in der Revolte" beschrieb er seinen Werdegang vom Sackelhäuser Bub hin zum Staatsfeind, aber auch die Literaturszene des Banat mit ihren zahlreichen ideologischen Irrungen und Wirrungen. Heftig attackierte Gibson die ebenfalls aus dem Banat stammende Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller - ihren angeblichen Widerstand gegen das Regime und ihre "erfundene" Securitate-Opferrolle nahm er unter anderem in seinen Büchern "Die Zeit der Chamäleons" und "Ohne Haftbefehl gehe ich nicht mit" aufs Korn. Nun aber widmet sich Carl Gibson einem neuen Thema - doch ganz neu ist es bei näherer Betrachtung nicht. So trägt schon ein Kapitel in "Allein in der Revolte" die Überschrift "Melancholie und künstlerisches Schaffen". Klar aber ist: "Herta Müller kommt in meinem neuen Buch nicht vor!", betont der Autor. Nicht, weil Gibson müde ist, seine (Plagiats-)Vorwürfe gegen Müller zu begründen und aufrechtzuerhalten, sondern "weil ich mich endlich ausgiebig literarisch-philosophisch mit dem Thema Melancholie und Einsamkeit aus Sicht der Philosophie beschäftigen wollte."
Blickwinkel des Betroffenen
Als Gibson 1992 nach Bad Mergentheim kam, "da wollte ich schon mit diesem Buch beginnen". Doch es kam anders. Neben Auftragswerken über die Wasser-, Strom- und Gasversorgung in der Stadt hatte Gibson "alle Hände voll zu tun" mit der "Symphonie der Freiheit" und "Allein in der Revolte", zudem war seine Arbeitskraft auch gebunden mit der Auseinandersetzung mit Herta Müller und der Geschichte des Widerstands im Banat.
"Als ich mit diesem Buch beginnen wollte, war Einsamkeit ein Motiv, aber keine Erfahrung", sagt der Autor. Wie das Leben so spielt, kam die eigene Erfahrung im Laufe der Jahre dazu.
So konnte der Autor nicht nur aus philosophisch-historischer oder literaturwissenschaftlicher Sicht arbeiten, sondern eben auch aus dem Blickwinkel eines Betroffenen. Auf 496 Seiten, vielfach mit Fußnoten versehen, widmet sich Gibson den Fragen, die beginnend mit Orvid und Seneca bis hin zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche die Philosophie und Literatur durchziehen. "Die einen können alleine sein und fühlen sich in der Einsamkeit wohl oder können zumindest damit umgehen", erklärt Gibson. "Und die anderen leiden unter der Einsamkeit und neigen zur Melancholie." Schon in der Antike widmeten sich die Philosophen dieser Frage und gaben - wie auch in der Renaissance oder in der Moderne - ihre jeweiligen "Rezepte" zur Auseinandersetzung des Individuums mit der Gesellschaft preis: Seneca etwa, der aus Rom nach Korsika verbannt wurde, "analysiert die römische Dekadenz und betreibt so Existenzbewältigung", erläutert Gibson. Natürlich hat er Seneca in seinem Buch erwähnt, ebenso wie Heraklit und Epicur, Cicero, Petrarca, Lorenzo de Medici, Jean Jacques Russeau ("ein ganz großer Einsamer"), Kant, Nietzsche, Jaspers oder Heidegger. "Es ist ein Buch für alle, die sich mit Einsamkeit und Melancholie auseinandersetzen", betont Gibson mit Blick auf "Persönlichkeiten, die sich seit 2500 Jahren mit diesen Fragen beschäftigen."
Der Autor ist überzeugt: "Die antiken Philosophen und ihre Erkenntnisse sind nach wie vor aktuell." Einsamkeit, Melancholie und die damit verbunden Depression sind zudem in der heutigen Single-Gesellschaft "ständige Begleiter". Der Blick zurück mache vieles deutlich, betont der Autor.
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