Bad Mergentheim. Ja, hat denn Tillmann Zeller keinen anderen Lieblingsort gefunden, als gerade jenen am Ende der Mühlwehrstraße, wo sich vor der grauen Mauer ein winziges, unbepflanztes Stück Erde befindet, und wo einige alte Steine meist im Schatten am Boden stehen und einen auf den ersten Blick völlig unbedeutenden Eindruck machen? Sie haben bis auf eine Ausnahme keine besondere Form und tragen nichteinmal eine geschichtsträchtige Inschrift. Und die Mauer? Wenn man so vorbeiläuft, eben nichts anderes als eine alte Mauer, hinter der ein Häuschen steht.
Neugieriger Enkel
Was aber macht dann diesen Ort zum Lieblingsplatz von Gästeführer Tillmann Zeller, an dem er jahrzehntelang vorbeigelaufen und an dem ihm nie etwas Besonderes aufgefallen war?
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, müssen wir einige Jahre zurückblenden und uns an den Moment erinnern, als Zeller mit seinem damals zehnjährigen Enkel am Torwachhäusle vorbeiging, und der Enkel, neugierig wie Kinder halt so sind, sich über die niedrige Hecke beugte und den Opa fragte: Was sind denn das für Steine? Und jetzt entdeckte Zeller, der sich seit vielen Jahren mit Sühnekreuzen beschäftigt, dass sich neben den Grenzsteinen auch ein Sühnekreuz befindet. Und da war er natürlich in seinem Element, denn Sühnekreuze sind für ihn ein geheimnisvoller Anziehungspunkt. Und er muss natürlich herausfinden, warum das Sühnekreuz errichtet wurde und aus welcher Zeit es stammt. Und: Welches Schicksal verbirgt sich dahinter?
Blutrache verhindert
Sühnekreuze, so erklärt Zeller, wurden vor über 500 Jahren aufgrund eines Sühnevertrags zum Beispiel zwischen Täter und Angehörigen des Opfers aus Stein gefertigt und aufgestellt. Mit Hilfe weiterer Bußen, die dem Täter auferlegt wurden (zum Beispiel Geldzahlungen), wurde eine Art Rechtsfrieden hergestellt und Blutrache verhindert. Das Sühnekreuz am Torwachhäusle stammt, wie Zeller herausgefunden hat, aus der Gegend zwischen Rot und Assamstadt. Was damals aber wirklich geschah, wo es genau passierte, und wer wen erschlagen oder erstochen hat, das liegt im Dunkeln. Bei anderen Sühnekreuzen kennt man den Sachverhalt oder glaubt ihn zu kennen, denn im Laufe der Jahrhunderte wird manches hinzugedichtet, und es ist wie beim "Tatort": Hauptsache die Spannung steigt.
Licht fürs Kurbad
Aber das Sühnekreuz allein macht noch keinen Lieblingsort. Es steht nicht irgendwo, wie Zeller betont, sondern an dem letzten Rest der Mergentheimer Stadtmauer, wo sich das Mühlwehrtor befand mit dem Torwärterhaus. In dem kleinen Gebäude trifft sich heute noch das Historische Schützen-Corps.
Das Mühlwehrtor war eines von vier Stadttoren und wurde 1830 abgebrochen. Türme und Stadtmauer waren geschliffen worden, damit sich das enge Städtchen aus dem Korsett des Mittelalters befreien konnte.
Heute wären wir froh, die Stadtmauer samt Türme würden noch stehen, aber nach dem Verlust der Deutschordensresidenz (1809) und der Entdeckung der Heilquellen im Jahr 1826 wollte das Städtchen ja Kurbad werden und der damalige Kurarzt Dr. Bauer befand: In eine Kurstadt muss Licht und Sonne rein, also weg mit den Überbleibseln der alten Stadtbefestigung.
Privates Engagement
Was aber stehen blieb, das war das Torwachhaus mit dem bisschen Stadtmauer im Rücken. Für Tillmann Zeller ein wichtiger historischer Ort in der Stadt, den es samt den Grenzsteinen des Deutschen Ordens neben dem Sühnekreuz und einem Torangelstein des ehemaligen Mühlwehrtores nur deshalb heute noch gibt, weil sich Privatleute für den Erhalt engagiert haben, wie Zeller hervorhebt.
Das Sühnekreuz beispielsweise wäre vor Jahren fast beim Straßenbau verschütt gegangen. Damit wäre ein über 500 Jahre alter steinerner Nachfahre eines menschlich-abgründigen Geschehens einfach beseitigt worden. Insofern ist der kleine, hintere Bereich des Torwachhäusles für Zeller auch ein Beispiel für erfolgreiches privates Engagement, das sich für den Erhalt ansonsten unwiederbringlich verlorener historischer Substanz in der Stadt einsetzt.
Untertanengeist
Dass neben dem Sühnekreuz auch Grenzsteine des Deutschen Ordens auf die besondere Vergangenheit Bad Mergentheims verweisen, fällt Passanten meist gar nicht auf.
Immerhin: Fast 600 Jahre lang war die Stadt im Besitz des Ordens. Für den Sozialdemokraten Tillmann Zeller, der vor 72 Jahren im Schwarzwald geboren wurde und seit 45 Jahren in Bad Mergentheim lebt und sich auch politisch engagiert, ist die Deutschordensherrschaft nicht spurlos an der hiesigen Mentalität der Menschen vorbeigegangen. Anders als in einer Freien Reichsstadt sei es hier mit dem freien Geist nicht ganz so gut bestellt gewesen.
Aufstände gegen den Deutschen Orden und gegen die württembergische Krone sind kläglich gescheitert. Einen breit aufgestellten und geglückten Widerstand gegen die Fremdherrschaft hätte Zeller sicherlich lieber gesehen.
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