Wertheim. Das hätte ganz schön eng werden können in der Buchhandlung Moritz und Lux. Rund 6500 Besuche verzeichnete der Internet-Blog "Burgvogtei Wertheim", seitdem er Anfang des Jahres ins Netz gestellt worden war. "Das ist ganz schön viel für eine Geschichtsplattform", freute sich der Initiator und Autor, Dr. Robert Meier vom Archivverbund Main-Tauber.
In die Buchhandlung, in die Meier am späten Dienstagnachmittag mit der Burgvogtei vorübergehend "umgezogen" war, kam dann nur knapp eine Handvoll Interessierter. Und die waren, bis jetzt jedenfalls, noch nie auf der Internetseite gewesen. Aus dem von Meier erhofften Kennenlernen zumindest eines Teiles seiner "Community" wurde es also nicht wirklich etwas. Und doch waren am Ende alle Anwesenden hoch zufrieden. Denn schon nach wenigen Minuten hatte sich ein höchst angeregtes Gespräch entwickelt, das sich nicht nur um das eigentliche Thema der Veranstaltung drehte.
"In dieser Woche gibt es eigenes 'Hundsbrot': 94 Stück. Manche Hunde mögen es nicht und bekommen weiter das gewohnte Brot. Am 14. Mai wird auf der Burg ein Ochse geschlachtet. Er wiegt 390 Pfund, davon 19 Pfund reines Fett. 39 Pfund Sülze werden gemacht. Am Gesindetisch sitzen meist 14 Personen. An jedem Tag sind Frondienstleistende da und bekommen Brot. Sie transportieren Mist, bringen Holz und tragen Hausrat hinaus. Drei Hasen werden in dieser Woche verspeist, einer davon als Pastete. Ein Stalljunge ist krank. Er bekommt ebenso jeden Tag ein halbes Maß Herrenwein wie ein Schuster aus Italien. Eierverbrauch: 50."
So lauten die Einträge im Blog für die laufende Woche, die Dr. Robert Meier aus den Archivalien herausdestilliert hat. Sie beruhen auf den detaillierten Aufzeichnungen des Hans Jacob Büttner, der vor genau 400 Jahren, 1614 also, Burgvogt war. Die regierenden Grafen hießen Wolfgang Ernst und Johann Dietrich, und dann gab es da noch zwei unverheiratete Schwestern, "die immer klagten, dass sie von ihren Brüdern zu wenig Geld bekämen". Wie kaum ein anderer versteht es Meier, aus trockenen Fakten auf Pergament Geschichte lebendig werden zu lassen.
In seinem Blog allerdings fordert er mehr die Fantasie seiner Leserinnen und Leser. Denn ausschweifende Erläuterungen zu den Einträgen gibt es nicht. Zur Veranstaltung bei der Buchhandlung "Moritz und Lux" hatte er einige Kopien der Eintragungen des Burgvogtes mitgebracht, und mit "Leseunterstützung" des Experten konnte denen dann unter anderem entnommen werden, dass den gräflichen Damen etwa Schlehen- und Wacholderwein gereicht wurde, bei einem Mahl Rentmeister und Schultheiß anwesend waren und man dabei vier Maß Wein trank.
Gespräch über alte Schriften
Woraus sich in der Buchhandlung dann ein Gespräch über alte deutsche Schriften und deren Lesbarkeit entspann und darüber, dass man in früheren Zeiten auf Rechtschreibung, jedenfalls so wie wir sie heute verstehen, weniger Wert legte. Mit ein wenig eigener Vorstellungskraft lässt sich aus dem Niedergeschriebenen aber auch ein Szenario über das Leben auf der Burg zu Beginn des 17. Jahrhunderts entwickeln.
Zwischendurch musste Dr. Robert Meier auch "Autogramme" geben, denn die Mutter eines bei der Firma Kurtz Beschäftigten kam schnell vorbei und ließ sich für ihren Sohn "als Überraschung", die von Meier verfasste Chronik des "Eisenhammers" signieren. Was, man ahnt es, zu einer Unterhaltung über die Geschichte dieser imposanten Einrichtung führte. Meier findet aber auch noch die Zeit, die Stadt Wertheim für ihre Kooperation und Unterstützung beim Burgvogtei-Blog zu würdigen.
Die Burgvogtei ist nicht der einzige Blog, der von dem Archivar betrieben wird. Schon etwas länger im Netz ist "1628blog.de" der sich, wie der Name erkennen lässt, um Ereignisse dieses und der folgenden Jahre dreht. Es war die Zeit, als es auch in Wertheim noch Hexenverbrennungen gab. Auch hierfür wertet Meier Archivalien aus. Bis zum Sommer will er diese Geschichten fortführen, "dann habe ich das zwei Jahre gemacht, das reicht".
Anschließend, noch im Herbst dieses Jahres, soll der Inhalt des Blogs als Buch erscheinen. Darin enthalten sein dürfte auch die Geschichte jenes betrügerischen Spendensammlers, der im ganzen Reich Gelder eintrieb, ehe er dann ausgerechnet in Wertheim aufflog.
Buch geplant
Für seinen Burgvogtei-Blog sucht Meier unterdessen weiter Rezepte, mit denen er das Thema weiter "anfüttern" möchte. Dass ihm der Stoff ausgehen wird, muss man wohl nicht befürchten. "Man hat unheimlich viel aufgehoben damals", lacht er. "Es kam nix weg." ek
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/wertheim_artikel,-wertheim-die-geschichte-wird-lebendig-gemacht-_arid,788476.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/wertheim.html