Pilotstudie - Würzburger Professor analysiert mit seinen Studenten das Verhalten und die Wahrnehmung von Radfahrern im Stadtverkehr

Straßenverkehrsordnung und Radler-Psyche passen nicht zusammen

Von 
Michaela Schneider
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Kamera auf dem Fahrradhelm: Andreas Pusch, Julian Rapp und Professor Jörn Hurtienne.

© Michaela Schneider

Würzburg. Der Verkehr wird dichter - doch nicht nur mehr Autos bevölkern die Straßen, sondern auch immer mehr Fahrradfahrer. Und damit häufen sich auch die Unfälle. Seit 1998 wird darauf am 3. Juni mit dem "Europäischen Tag des Fahrrads" aufmerksam gemacht. Das Erstaunliche: Die Verkehrspsychologie setzt sich zwar schon lange mit Autofahrern auseinander - das Thema Radler indes ist kaum erforscht.

Wohl mit ein Grund: Fürs Rad braucht's weder einen Führerschein, noch registriert eine Versicherung Kleinschäden. Und: während die Autoindustrie Gelder fließen lässt, fehlt's bei den Radlern an der Lobby. Professor Jörn Hurtienne, Inhaber des erst 2012 neu eingerichteten Lehrstuhls für Psychologische Ergonomie an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg, will sich der wissenschaftlich vernachlässigten Radlerpsyche nun annehmen. In einer ersten kleinen Pilotstudie ließ er das Verhalten und die Wahrnehmung von Radfahrern in Würzburg und Berlin analysieren.

Jörn Hurtienne fährt selbst viel Fahrrad - ebenso wie sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Andreas Pusch. Und so war es für das Lehrstuhlteam letztlich naheliegend, einmal unter die Lupe zu nehmen, welche Hindernisse und Probleme Fahrradfahrer im städtischen Straßenalltag erleben. "Ich habe das Gefühl, dass die Straßenverkehrsordnung und die Radler-Psyche nicht immer zusammenpassen", so der Professor. Bedürfnisse von Fahrradfahrer und Autofahrern ließen sich nicht über einen Kamm scheren.

Jeweils fünf Radler legten für die Pilotstudie im September 2012 in Würzburg und Berlin eine ihrer gewohnten Routen zurück. Im Schnitt dauerten die Fahrten 15 Minuten. Auf dem Fahrradhelm während der Hin- und Rückfahrt montiert: eine Kamera, die die Fahrstrecke aus Sicht des Radlers aufzeichnete.

"Die Frage für uns lautete: Was passiert auf einer ganz normalen Alltagsstrecke?", sagt Julian Rapp. Er ist einer der beiden Studenten des Studiengangs Mensch-Computer-Systeme, die die Daten der Pilotstudie erhoben und auswerteten. Zusammen mit Studentin Kerstin Öchsner sichtete er die Aufnahmen, suchte kritische Situationen heraus und analysierte die Videos dann mit Blick auf Gefährdungspotenziale. Abschließend wurden die Szenen von den Radlern kommentiert.

Wenig erstaunlich: Statische Hindernisse wirkten auf Radler und Experten weniger kritisch als dynamische. Überraschender indes: Eine wesentliche Rolle spielte, ob die Gefahren von anderen ausgingen oder aber von den Radlern selbst: Überrollt ein Fahrradfahrer eine rote Ampel, findet er's wesentlich weniger dramatisch, als wenn dies ein anderer Verkehrsteilnehmer tut. "Wir gewannen auch den Eindruck, dass Experten und Radfahrer die Gefahrenlage zum Teil abweichend einschätzen", sagt Professor Hurtienne.

Welche Schlüsse aber zieht er aus den ersten Studienergebnissen? Geplant sind zunächst weitere Untersuchungen im noch wenig erforschten Gebiet. Studentin Kerstin Öchsner hat deshalb 32 Probanden einzelne Videoschnipsel vorgespielt. In ihrer Bachelorarbeit analysiert sie nun, was Radler in brenzligen Verkehrssituationen überhaupt wahrnehmen und wie gefährlich diese ihnen erscheinen. Hierum wird sich auch die nächste Untersuchung drehen. Professor Hurtienne hat dafür eine spezielle Brille mit eingebautem Eyetracker bestellt. Damit lässt sich die Blickrichtung des Radfahrers nachvollziehen. Aufgezeichnet werden nicht nur Radweg und Umgebung, sondern auch die Augenbewegung des Fahrers. Mittelfristig, so Hurtiennes Idee, könnte der Lehrstuhl mit Polizei und Kommune zusammenarbeiten, um Gefahren im Stadtverkehr zu reduzieren.

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