Neunstetten. Das Leben im Mittelalter verlangte den Menschen einiges ab. Heutige Probleme wie Bewegungsmangel waren damals eine Seltenheit. Das galt für die Bauern, die schon in frühester Jugend von morgens bis abends auf den Feldern schuften mussten, aber auch für die vielen Söldner und Ritter, die auf den Schlachtfeldern aufeinander eindroschen - und dies in schweren Rüstungen.
Jan Sachers, Kurator des Histotainment Parks Adventon in Osterburken und Mitglied einer Fechtgruppe in Würzburg, die sich auf mittelalterlichen Kampfstil spezialisiert hat, kann davon ein Lied singen. "In fünf Minuten historischem Schwertkampf verliert man ein gefühltes Kilo an Gewicht", sagt er.
Mit der harten Lebensweise im Mittelalter befasst sich der Neunstettener mit Stuttgarter Wurzeln seit seiner Jugend. Es habe mit dem Lesen von Fantasy-Literatur in seiner Jugendzeit angefangen, erzählt er.
Schon früh habe ihn aber die Frage interessiert: "Wie lebten die Menschen damals wirklich?" Seitdem liest und schreibt er nicht nur über das Mittelalter, sondern versucht auch, sich in den Alltag der Menschen, die damals lebten, hineinzuversetzen - und das dabei erworbene Wissen weiterzugeben.
Diese Leidenschaft veranlasste ihn - nach dem Abitur und einer abgeschlossenen Ausbildung als Buchhändler - Geschichte und Literatur in Bielefeld zu studieren, natürlich mit dem Mittelalter als Schwerpunkt. Schon in dieser Zeit beschränkte sich Sacher nicht nur darauf, Bücherwissen zu sammeln.
So trat er in eine historische Fechtabteilung des Bielefelder Unisportzentrums ein. Schon vorher hatte er sich mit Bogenschießen beschäftigt. "Die Schwertkampfgruppe bezog viele ihrer Informationen aus historischen Quellen, beispielsweise aus zeitgenössischer Fachliteratur über den Schwertkampf, sogenannte "Fechtbücher", berichtet er. Die Studenten sammelten Informationen aus verschiedenen Quellen und probierten die beschriebenen Techniken selbst aus. Nebenbei verfasste Sachers Texte für historische Zeitschriften.
Nach seinem Magisterabschluss und einer Tätigkeit als politischer Analyst bei einem Unternehmen, das sich mit Sicherheitsfragen in Krisenregionen beschäftigt, beschloss Sacher, sein Hobby endgültig zum Beruf zu machen.
Er gründete in Bielefeld eine Firma für "Historische Dienstleistungen". Seine Haupttätigkeit war damals das Übersetzen und Erfassen von Texten aus historischen Dokumenten.
Zum Leben reichte diese Tätigkeit nicht, wie der Historiker sich erinnert: "Nebenbei arbeitete ich in einem Laden, in dem Motorrad-Kleidung verkauft wurde". Auch dieser Nebenjob hing mit einem Hobby zusammen: Neben Kanu- und Wandertouren unternimmt Sachers Motorradfahrten.
Der Wendepunkt kam 2012: Die Betreiber des Histotainment Parks in Osterburken suchten einen Kurator - Sachers bewarb sich, wurde angenommen und verlegte seinen Wohnort von Bielefeld in den Hohenlohe-Kreis.
Auftritt beim SWR
Seitdem ist Jan Sachers vor allem für die Inhalte auf den Informationstafeln und Führungen in dem Mittelalter-Park zuständig - aber auch für die historische Beratung der "Siedler", die auf dem Gelände mittelalterliche Hütten gebaut haben. Wobei auch die Hobby-Historiker viel über das Leben und Arbeiten im Mittelalter wissen, wie Sachers betont - wenn auch mehr durch Selbstversuche als durch Quellenlektüre. "Auf diese Weise findet ein guter Austausch statt", sagt der Kurator.
Einem breiten Fernsehpublikum wurde Sachers mit einem Auftritt in der Sendung "Epochen-Kochen: Wie die Ritter tafelten" bekannt, die Ende vergangenen Jahres im SWR-Fernsehen ausgestrahlt wurde. Um ein genaues Bild vom Leben im Mittelalter nachstellen zu können, müssen er und seine Mitarbeiter regelrechte Puzzle zusammensetzen.
Neue Fragen
Historische Quellen aller Art werden ausgewertet und miteinander abgeglichen. "Es gibt viele Bildquellen, die zeigen, wie große Ochsen oder Schweine bei Feierlichkeiten über Spießen gebraten werden", nennt der Forscher ein Beispiel zum Thema Ernährung. "Im Alltag wurde jedoch meist mit Wasser in Töpfen gekocht. Nur wurde das selten bildlich festgehalten". Wichtige Quellen könnten neben Bildern Kochbücher sein - oder auch Skelette von Menschen, deren Zähne von Mühlsteinsplittern im Brot abgebrochen wurden.
"Es werden ständig so viele neue Quellen entdeckt, dass einem nie langweilig wird", schwärmt Sachers. Zudem kämen auch immer wieder neue Fragestellungen hinzu: "Die Forschung interessiert sich immer mehr auch für den Alltag von Frauen und Kindern im Mittelalter", gibt der Kurator zu bedenken. Das sei in den 1950er Jahren noch ganz anders gewesen, als es den Wissenschaftlern vor allem um die Lebenswelt von Rittern, Knappen und Waffenknechten ging.
Überhaupt sei das Interesse am Mittelalter in den vergangenen Jahren gewachsen. Aus diesem Grund erwägt Sachers derzeit auch keine Rückkehr an eine Universität. "Es geht mir nicht darum, Bücher für meine Historiker-Kollegen, die sowieso viel Fachwissen besitzen, zu schreiben", sagt er.
Viel interessanter sei für ihn die Frage, wie man Inhalte für ein breites Publikum anschaulich aufbereiten kann.
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