Staatsministerin Silke Krebs inkognito in Hardheim - Viel Geheimniskrämerei um eine Diskussionsrunde / Umgehungsstraße führt die Wunschliste der Bürger an

Regierung schaut dem Volk "aufs Maul"

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Joachim Sterz
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Aufmerksame Zuhörerin ist Staatsministerin Silke Krebs nicht nur bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Auch den Sorgen und Anregungen der Hardheimer lauschte sie - anonym.

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Hardheim. Wie sehen Hardheimer ihren Heimatort und welche Erwartungen haben Sie an die Politik? Interesse an der Beantwortung dieser Frage haben nicht nur lokale und regionale Institutionen, sondern sogar die grün-rote Landesregierung in Stuttgart. Auch wenn es offiziell nicht so deklariert wurde: Die Regierungszentrale war Initiatorin einer Diskussionsrunde am 2. Dezember, in der sich Hardheimer Bürger über das Leben im Ort austauschen sollten. Das Interesse in der Regierungszentrale war so groß, dass deshalb eigens Staatsministerin Silke Krebs in den hinteren Odenwald reiste. Freilich inkognito: Sie verfolgte die lebhafte Diskussion unerkannt über einen Fernseher im Nachbarraum.

Hardheim war die zweite Station in einer Reihe von Diskussionsrunden, die die Landesregierung derzeit in eher ländlichen und strukturschwächeren Orten über ein Würzburger Marktforschungsinstitut organisiert, ohne sich als Auftragsgeberin zu erkennen zu geben. Der Anfang wurde in Crailsheim gemacht. Die spezielle "Tour de Ländle" endet in Kürze in Endingen am Kaiserstuhl.

Ungewöhnlich war schon, wie zu der Hardheimer Diskussionsrunde eingeladen wurde: Unter anderem per Postwurfsendung wurden Teilnehmer für die Veranstaltung gesucht, mit der die Regierung dem Volk offensichtlich "aufs Maul schauen" wollte. Die Teilnehmer sollten zwar politisch interessiert, aber nicht im Gemeinderat engagiert sein.

Tatsächlich wurden so neun Hardheimer zu der Diskussion in den "Ochsen" eingeladen. Die Runde setzte sich gleichermaßen aus im Ort aufgewachsenen Hardheimern wie aus "Hereingeschmeckten" zusammen, die erst vor einigen Jahren ins Erfatal gezogen waren. Schnell wurde deutlich, dass auch unterschiedliche politische Standpunkte die Diskussion bereicherten.

Thema: "Das Leben in Hardheim heute und morgen". Veranstalter war das Markt- und Organisationsforschungsinstitut MWO im Zusammenwirken mit dem Institut für Zielgruppenkommunikation in Heidelberg.

Der Lebensqualität in Hardheim attestierten die Teilnehmer ganz unterschiedliche Noten. Schnell kam Diskussionsleiter Dr. Thomas Wind vom Heidelberger Institut für Zielgruppenkommunikation ("Ich bin mit den Verhältnissen vor Ort nicht vertraut") auf die kritischen Punkte zu sprechen, die die Hardheimer offensichtlich beschäftigen. Beherrschendes Thema war der Durchgangsverkehr auf der B 27 und der Bretzinger Straße, der von allen als belastend empfunden wurde. Auch die anstehende Auflösung der Bundeswehrdienststellen in Hardheim nahm in der Aussprache breiten Raum ein. Konsens herrschte unter den politisch interessierten Bürgern darüber, dass es Hardheim in Zukunft schwer haben werde, wenn 2017 und 2019 die Bundeswehreinrichtungen endgültig ihre Pforten schließen.

Wie die Kommune auf die anstehende Konversion reagieren soll, darüber gingen die Meinungen indes auseinander. Einige Diskutanten forderten mehr Aktivitäten der Gemeinde bei der Vermarktung der Militärflächen und beim Eigenmarketing.

Einkaufssituation unbefriedigend

Kritik übte die Runde an der ihrer Meinung nach unbefriedigenden Einkaufssituation vor Ort. Auch die Defizite im öffentlichen Nahverkehr wurden offen angesprochen.

Im Lauf der lebhaften, aber immer sachlichen Diskussion legte der Moderator den Fokus immer mehr auf landespolitische Themen. Schnell kam man so auf die Energiepolitik zu sprechen - vor allem auf die Ansiedlung von Windrädern, die ja auch in der Peripherie von Hardheim stark umstritten ist. In diesem Zusammenhang wurde kritisiert, dass die Landesregierung nur wenig Präsenz "in der Fläche" zeige. Ein Teilnehmer brachte es so auf den Punkt: "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass in den vergangenen Jahren einmal ein Regierungsmitglied in Hardheim war."

Aus der Hardheimer Bürgerrunde hagelte es massive Kritik am neuen Landesjagdgesetz, weil die Belange der Jäger darin zu wenig berücksichtigt würden. Mehrfach wurde das Schattendasein von regionalen Belangen in der Landespolitik beklagt.

Spannend waren die Antworten, als Moderator Dr. Thomas Wind nach konkreten Wünschen an die Landesregierung fragte. Obwohl niemand auf diese Fragestellung vorbereitet war, gab es doch die unterschiedlichsten Anliegen: Die "eingeborenen" Hardheimer wünschten sich unisono "eine Umgehungsstraße".

"Ihre Anliegen wurden gehört"

Darüber hinaus reichten die Wünsche vom bundeseinheitlichen Bildungssystem über Verbesserungen im sozialen und schulischen Bereich bis hin zu einer Steigerung der Förderung der beruflichen Fortbildung.

Ganz unterschiedlich waren die Ansichten in der Gruppe, ob der Wechsel zur grün-roten Regierung das Land seit 2012 tatsächlich vorangebracht habe. Die Meinungen darüber reichten von "frischem Wind", der im Land Baden-Württemberg eingezogen sei, bis zur glatten Ablehnung.

Was keiner der Diskussionsteilnehmer wusste: Im Gastraum des "Ochsen" verfolgte Staatsministerin Silke Krebs (Grüne) die Gruppendiskussion live an einem TV-Bildschirm und machte sich zahlreiche Notizen. Die Staatsministerin gab sich auch anschließend nicht zu erkennen: Sie hatte den Hardheimer "Ochsen" schon vor Ende der über zweistündigen Diskussion wieder verlassen.

Immerhin hatte Moderator Dr. Thomas Wind zum Schluss ein paar tröstliche Worte für die Diskussionsteilnehmer parat: "Sie können sicher sein, dass Ihre Anliegen in jedem Fall gehört wurden."

Zum Thema

Stellungnahme

  • Zum Besuch der Staatsministerin Silke Krebs in Hardheim erhielten die FN folgende Stellungnahme von der Pressesprecherin ihres Ministeriums: "Es gehört explizit zum Regierungsgeschäft dazu , dass man sich über die einzelnen politischen Felder - in diesem Fall die Lebenssituation der Bürgerinnen und Bürger im Ländlichen Raum - ein Bild macht.
  • In diesem Fall ging es um eine so genannte Fokusgruppenbefragung, die im Auftrag des Staatsministeriums von einem Meinungsforschungsinstitut durchgeführt wurde.
  • Die Teilnehmer wurden zu Beginn darüber informiert, dass im Nebenraum Menschen sitzen und mithören.
  • Die Ministerin hätte gerne persönlich an der Diskussion teilgenommen, aber das ging aus wissenschaftlichen Gründen nicht, da es für die Authentizität der Antworten wichtig ist, dass die Befragten nicht wissen, wer sich für ihre Antworten interessiert.
  • Am Ende der Diskussion wurden sie natürlich informiert. Ministerin Krebs war es wichtig, neben der Auswertung des Instituts auch einen persönlichen Eindruck von der Befragung zu bekommen."

Geheimniskrämerei

Unabhängig von einander haben zwei Teilnehmer bestätigt, ihnen sei lediglich mitgeteilt worden, dass Videoaufnahmen "im Rahmen einer Studie" gemacht würden - ohne den Auftraggeber zu nennen - und "Menschen im Nebenzimmer mithören". "Es war uns nicht bekannt, dass die Staatsministerin anwesend war". Das sei ihnen erst später nach der Veranstaltung privat vom Wirt erzählt worden.

Geheimniskrämerei gab es auch in anderer Hinsicht: Die Organisatoren hatten die Fränkischen Nachrichten, die die Diskussion verfolgen wollten, ausdrücklich von der Teilnahme ausgeladen. i.E.

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