Hochhausen. Seit über 50 Jahren beschäftigt sich der im ostpreußischen Goldbach geborene Harry Schlisio mit der Geschichte seiner ehemaligen Heimat. In Hochhausen hat er eine Kartei mit 49 723 Menschen aus dem ehemaligen Landkreis Wehlau im nördlichen Ostpreußen - heute Kaliningrader Gebiet. Der Landkreis hatte zwölf evangelische Kirchspiele und 116 politische Gemeinde. In den vergangenen Jahren arbeite er zusammen mit einem Kollegen die Geschichte aller Gemeinden auf und veröffentlichte hierüber umfangreiche und informative Heimatbücher. Im August 2001 konnte dank seiner Initiative in Dittigheim ein Gedenkstein an das Kirchspiel Goldbach aufgestellt werden.
Harry Schlisio wurde am 22. Dezember 1934 in Goldbach Kreis Wehlau in Ostpreußen geboren. Der Vater hatte im Haus der Familie eine eigene Schneiderei. Als Anfang 1945 die russischen Truppen immer näher rückten, musste die Familie ihre angestammte Heimat für immer verlassen. Über die Ostsee ging es Richtung Westen. Hier trat Schlisio in die Fußstapfen seines Vaters und begann eine Schneiderlehre. Als die junge Bundesrepublik Grenzschützer suchte, meldet3 sich Harry Schlisio freiwillig. Über mehrere Umwege kam er dann schließlich aus dem Norden als Berufssoldat ins Taubertal.
Während seiner Dienstzeit erinnerte er sich an seine ostpreußische Vergangenheit und begann, sich für die Geschichte seiner Heimat zu interessieren. Seit 1962 erscheint zweimal jährlich der Wehlauer Heimatbrief mit Geschichten aus der alten Heimat von damals und von heute. Auch hier liest man regelmäßig Beiträge von Harry Schlisio.
1970 erschien das erste Heimatbuch des Wehlauer Kreises - inzwischen konnten durch die Arbeit von Harry Schlisio und seinem Kollegen in Hamburg von allen 116 politischen Gemeinden Heimatbücher aufgelegt werden. Der letzte Band erschien im vergangenen Jahr.
Akribisch sammelte Harry Schlisio Fotos und Dokumente bei den ehemaligen Landsleuten und in Archiven. Von seinem Heimatort Goldbach gibt es sechs Bände die eine Chronik, alte und neue Bilder sowie diverse Heimatbriefberichte umfassen. Insgesamt sind bisher 116 Heimatbücher mit 213 Ortsplänen erschienen. Diese enthalten unter anderem auch Einwohnerlisten, Ortspläne und zahlreiche historische Fotos. Der letzte Band über die Stadt Wehlau erschien im vergangenen Jahr.
In den vergangenen Jahren entstand so um umfangreiches Bild- und Dokumentenarchiv des Kreises Wehlau mit über 20 000 Fotos. Das komplette Archiv umfasst 50 Aktenordner, von denen die meisten ans Archiv Syke bei Bremen abgegeben wurden. Nur noch die Ordner von Goldbach befinden sich noch im Büro von Harry Schlisio in Hochhausen. Alle Daten hat er digitalisiert und so sind diese jederzeit auch für den Wehlauer Heimatbrief verfügbar. Ziel des Archives ist es, auch den Nachkommen der einstigen Einwohner des Kreises die Geschichte der alten Heimat lebendig zu halten.
In seinem kleinen Büro in Hochhausen kümmert sich Harry Schlisio ehrenamtlichen um die ostpreußische Heimatgeschichte. Und das Interesse an der alten Heimat ist nach wie vor groß. Täglich kommen Anfragen viele davon sogar aus dem Ausland. Nachkommen aus dem Kreis Wehlau leben heute in Deutschland, England, Schweden, der USA, Kanada, England und Australien. Alle erhalten auch den Heimatbrief - die Organisation der Verteilung übernimmt hier Harry Schlisio. Die Kreisgemeinschaft unterstützt auch bei der Familienforschung und gibt praktische Tipps. Die noch erhalten evangelischen Kirchenbücher befinden sich im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin, die verbliebenen Standesamtsregister sind im Standesamt I in Berlin.
In den vergangenen Jahren wurde auch immer wieder die alte Heimat besucht. Goldbach gehört seit Kriegsende zum russischen Oblast Kaliningrad (Gebiet Königsberg) und heißt heute Salwinsk. Einige der alten Häuser aus deutscher Zeit stehen noch - doch leider existiert die einst stolze Kirche nur noch als Ruine. Im Ort wurde inzwischen ein Heimatmuseum eingerichtet, in dem die Bewohner viele Alltagsgegenstände der früheren Bewohner zusammengetragen haben. Im Museum befinden sich auch Fotos aus dem umfangreichen Archiv von Harry Schlisio.
Ab 1995 fanden in dem damaligen Wohnort von Harry Schlisio im Zweijahrestakt die Kirchspieltreffen Goldbach statt - zum letzten Mal im Jahr 2011.
Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass am 19. August 2001 ein nachgearbeiteter Gedenkstein an die im 1. Weltkrieg gefallenen Goldbacher am Radwanderweg bei Dittigheim aufgestellt werden konnte. Auf diesem sind das Symbol Ostpreußens die Elchschaufel und die Inschrift 1302 bis 1945, Kirchspiel Goldbach zu sehen.
Bei einem kleinen Festakt am 16. August 2009 übernahm der Heimatverein Dittigheim die Patenschaft für den Gedenkstein und nahm diesen in die Liste für Kulturdenkmale und Sehenswürdigkeiten auf der Gemarkung Dittigheim/Hof Steinbach auf.
Harry Schlisio ist mit Herz und Seele Ostpreuße und ans Aufhören denkt er noch lange nicht. Täglich sitzt er in seinem Büro und kümmert sich um die Belange seiner Landleute und deren Nachkommen. Er freut sich immer wieder, wenn weiteres Material in das umfangreiche Archiv aufgenommen werden kann.
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