Niederstetten. Stephan Aupperles letzte Pfarrstelle liegt im unterfränkischen Ermershausen in den Haßbergen. Sein neues Ermershausen - ein Niederstettener Ortsteil - liegt in der westlichen Einflugschneise Richtung Militärflugplatz Niederstetten. Zehn Jahre lang war Aupperle normaler, ziviler evangelischer Seelsorger. Jetzt hat der ehemalige Zivildienstleistende, Sozialpädagoge und Theologe für sechs Jahre quasi bei der Bundeswehr angemustert. Sein neuer Dienstherr trägt sogar den Titel Militärbischof und heißt Dr. Sigurd Rink - Amtssitz Berlin.
Die Dienstzimmer Aupperles in der Niederstettener Köhl-Kaserne sind militärisch nüchtern: Weiß gestrichene Klinkerwände, etwas überalterte, praktische Furniermöbel, eine schlichte Sitzcouch, die zum Notbett umfunktioniert werden kann. An den Wänden des Gangs Hinweise in militärischen Kürzeln - doch am Eingang des Büros des Stützpunktgeistlichen (so die offizielle Dienstbezeichnung) eine hüfthohe Statue, die Martin Luther darstellt. Eine eigene Welt innerhalb der Heeresflieger-Kaserne: Der grünbronzefarben-patinierte Hartplastik-Luther hält keine Sammlung von Dienstvorschriften in der Hand, sondern - klar - eine Bibel. "Wer auf Gott vertraut, darf sich sicher wissen in den Händen der Liebe", darauf weist ein stimmungsvolles Plakat im Hintergrund hin.
Ein gütiger, liebender Gott hier, das Militär mit seinen Hierarchien, den bedrohlichen, potenziell vernichtenden Aspekten dort: Ein spannender Job, so scheint es.
Es sei wichtig, dass die Militärseelsorge sich auf dem Kasernengelände befinde, obwohl die militärische Gemeinde auch Niederstetten mit der Jakobskirche zugeordnet ist. "Das sind kurze Wege", sagt Aupperle: Soldaten sollen schnell zu ihm finden können, wenn sie Sorgen drücken. Aber auch für deren Angehörige, Partner, Kinder und für die zivilen Mitarbeiter des Standorts ist er da.
Psychosoziale Unterstützung
Gottesdienste finden in Niederstetten einmal im Monat immer freitags im Kasino statt, erklärt Aupperle. Im Vordergrund seiner niederschwelligen Angebote steht vor allem die Seelsorge. Und dieses Wort muss man zuerst einmal als psychosoziale Unterstützung begreifen. "Ich unterliege der Schweigepflicht und gehöre nicht zu einer Befehlskette", hält der Pfarrer fest. Sorgen, Nöte, dienstlicher Druck, Angst: Hier wirft Aupperle das Angebot des Vertrauens in seinen unabhängigen Auftrag in die Waagschale. "Oft geht es in Gesprächen um persönliche Probleme", erzählt der Pfarrer. Konfessionelle Grenzen gibt es für ihn nicht: "Wir praktizieren hier ein hohes Maß an Ökumene."
Nach der Auflösung der Stützpunktseelsorge in Ellwangen ist Niederstetten die neue Zentrale. Stephan Aupperle ist einer von rund hundert evangelischen Militärgeistlichen in Deutschland. Er betreut ein großes Gebiet: Ellwangen, Nieder-stetten, Wermutshausen, Altheim, Walldürn, Mosbach, Neckarzimmern, Penzing bei Landsberg. An diesen Standorten steht er als Ansprechpartner zur Verfügung. In speziellen Aufbaukursen bei der Kirche und der Bundeswehr ist er darauf vorbereitet worden.
Auch zwei mehrmonatige Auslandseinsätze gehören zum neuen Job: Afghanistan, der Kosovo, das afrikanische Mali - wohin ihn sein Dienst bringen wird, weiß Aupperle momentan noch nicht. Der Pfarrer ist verheiratet und lebt mit Frau und Kindern in Weikersheim. "Natürlich war die Begeisterung über den Dienst im Ausland nicht groß", schildert er die Reaktion seiner Familie. Doch "es ist wichtig, auch dort bei den Soldaten zu sein", sagt er klar. Es gehe ihm bei seiner Arbeit immer darum, "den Manschen nahe zu sein." Bei Auslandseinsätzen kommen Militärangehörige unweigerlich in existenzielle, mitunter lebensbedrohliche Situationen. Hier geht es um einen geistlichen Beistand in einem ganz konkreten Sinne - egal wie kritisch man das Spannungsfeld Kirche/Militär sehen mag.
Großer Vertrauensvorschuss
Das neue Aufgabenfeld hat für Aupperle einen besonderen Reiz, gerade weil er ein "Ungedienter", ein Kriegsdienstverweigerer ist. Fragen von Moral, Ethik, Religion, sie stellen sich logischerweise auch Soldaten, das ist Nicht-Militärs mitunter nicht ganz gegenwärtig. Er genieße im Gegenzug zu seinen Vertrauens-Angeboten einen großen Vertrauensvorschuss bei den Soldaten. Er erlebe darüber hinaus große Offenheit, ja, Freundlichkeit, auch bei der zivilen Bevölkerung der Tauber-Vorbach-Region.
Im Gesprächszimmer Aupperles stehen mehrere Schränke voller Kirchen-Material: Gesangbücher, Leitfäden, Bibeln in Flecktarn-Optik und auf einem Schrank eine Gitarre. "Rüstzeiten", kirchliche Freizeiten für Soldaten und deren Angehörige, auch die gehören zum Aufgabenbereich eines Militärgeistlichen. Offenheit für alle Aspekte des Daseins - die hat Stephan Aupperle bereits als "Zivi" in einem israelischen Kibbuz und bei einem mehrjährigen kirchlichen Einsatz in Papua-Neuguinea gelernt.
In einem dicken schwarzen Hartschalenkoffer mit Rotkreuzaufkleber das geistliche Reisegepäck des neuen Militärpfarrers: Weiße Altardecken, ein zusammensteckbares Kreuz, Stumpenkerzen, Abendmahlkelch und -schale. So werden die Soldaten und ihre Angehörigen Stephan Aupperle künftig kennenlernen. Kirche aus dem Handgepäck ganz ohne beeindruckenden Sakralbau drumherum. Dafür aber ein Pfarrer mit Herz und Hand. Und der Fähigkeit zuzuhören.
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