Filmskripte sind - zur Zeit - die besseren Theaterstücke. Das zeigte sich erneut bei der Premiere der Komödie "Ziemlich beste Freunde", die am Komödienhaus des Theaters Heilbronn am Samstag in der Inszenierung von Uta Koschel umjubelte Premiere hatte.
"Ziemlich beste Freunde" erzählt mit ironischer Leichtigkeit von einer ungewöhnlichen Freundschaft: Der reiche Philippe, nach einem Paragliding-Unfall querschnittsgelähmt, sucht einen Pfleger. Er entscheidet sich gegen alle Vernunft für den aus Algerien stammenden Kleinkriminellen Driss. Dieser wollte sich eigentlich nur einen Stempel fürs Arbeitsamt abholen, bleibt dann aber, da er gerade keine Unterkunft hat, und bringt das Leben des reichen und depressiven Intellektuellen Philippe gehörig durcheinander.
Dem Feingeist Philippe aus dem noblen Pariser Viertel Saint-Germain-des-Pr´es bringt Driss unverblümt die Themen der Jungs aus den Banlieue nahe - Sex, Drogen, schnelle Autos - und Philippe revanchiert sich bei Driss mit Einblicken in die Kunst und (klassische) Musik. Wenn die Dialoge hin und her fliegen und wenn Vivaldi und Webers "Freischütz" ("Vier Stunden? Och nöö!") auf die laut aufgedreht Musik von "Earth, Wind and Fire" treffen, dann ist vor allem für eines kein Platz: politische Korrektheit.
Die besten Filmskripte schreibt die Wirklichkeit: Was sich wie die Erfindung eines Drehbuchautors anhört - und im Jahr 2012 zu einem gigantischen Kinoerfolg wurde - basiert auf erlebter Realität, nämlich der Biographie von Philippe Pozzo di Borgo, dem ehemaligen Geschäftsführer des Champagnerhersteller Pommery, und seines Pflegers Abdel Sellou. Gunnar Dreßler hat die deutsche Bühnenfassung des Films erarbeitet und sich dabei eng an die Vorlage gehalten.
"Die Jungs aus der Vorstadt kennen kein Mitleid", sagt Philippes Freund Antoine. - "Genau das will ich", entgegnet Philippe. Er, der in seinem elektrischen Rollstuhl sitzt (Nils Brück spielt den an Händen und Beinen Gelähmten ausgesprochen überzeugend) kann alles andere ertragen, nur kein Mitleid. Mitleid wäre die Entmündigung des brillanten Kopfes, der von seinem Körper verlassen wurde.
Von Driss kann er das auch gar nicht erwarten. Der spricht die ganzen Tabuthemen an, die im Gespräch mit und über behinderte Menschen normalerweise ausgelassen werden. "An Ihrer Stelle würde ich mir die Kugel geben", sagt Driss. "Aber auch das ist schwer für einen Querschnittgelähmten", entgegnet Philippe. Driss, das ist in der Heilbronner Inszenierung der Film- und Theaterschauspieler Murali Perumal, der den zappeligen und rotzfrechen Macho aus dem Maghreb mit vollem Körpereinsatz gibt und am liebsten über die Begrenzungsbarriere der Bühne flankt.
Die attraktive Haushälterin Margalie (Julia Apfelthaler) - ein weiterer Grund, warum Driss bei Philippe bleibt - sowie Philippes Freund Antoine (Ferdinand Seebacher), der Driss völlig unpassend und ungeeignet findet, machen das Kleeblatt der Schauspieler komplett.
Die Regisseurin Uta Koschel hält sich in ihrer Inszenierung eng an an den Film mit seinen kurzen Szenen, seinem Pingpong an schnellen Dialogen, seiner Leichtigkeit des Seins, seiner konsequenten Vermeidung von Rührseligkeit - und schließlich auch mit der Beschränkung auf anderthalb Stunden reine Spielzeit.
Tom Musch hat auf die Bühne des Komödienhauses das Halbrund einer Arena gebaut, auf deren Begrenzung die 23 Faberg´e-Eier stehen, die Philippe von seiner verstorbenen Frau geschenkt bekommen hatte - Driss hatte gleich mal eines mitgehen lassen, um den Ärger seiner Mama mit dem bunten Osterei zu dämpfen.
Philippe erlebt schließlich sein Glück, als Eleonore, die Brieffreundin, auf Einladung von Driss zu Besuch kommt - und das Publikum erlebte einen intelligenten Theaterabend über die Freundschaft von zwei Außenseitern, die sich auf wunderbare Weise ergänzen. Den Premierenbesuchern gefiel das ganz ungemein. Jürgen Strein
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