Schwäbisch Hall - "Hamlet" auf der Großen Treppe

Dänemark ist ein Gefängnis

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Der Titelheld gibt das Stichwort. Hamlet konstatiert: "Dänemark ist ein Gefängnis". Das greift Horst Vogelsang auf und errichtet am Fuß der Großen Treppe in Schwäbisch Hall eine Gefängnismauer. Dahinter, auf der Treppe, auch auf dem Kirchturm und zwischen den Zuschauerreihen spielt die Tragödie "Hamlet" von William Shakespeare bei den Freilichtspielen Schwäbisch Hall.

Das liegt jedoch nicht an der selten gehörten Übersetzung des Dichters Georg Herwegh, der packende Worte fand, sondern an der Inszenierung von Johanna Schall, der Enkelin von Bertolt Brecht und Helene Weigel, der ihre Schwester Jenny Schall die Kostüme lieferte. Die Frage sei erlaubt: Wie hätte wohl ihre Mutter Barbara Brecht-Schall, die Gralshüterin des Brecht-Erbes reagiert, wenn ein anderer so mit einem Brecht-Stück umgegangen wäre, wie sie jetzt mit Shakespeares Drama.

Stellte der frühere Intendant Achim Plato in den Jahren 1997/98 eine sozusagen klassische "Hamlet"-Aufführung vor, die sich an Hamlets Ermahnung orientierte: "Passt die Gebärde dem Wort, das Wort der Gebärde an, wobei ihr sonderlich darauf achten müsst, niemals die Bescheidenheit der Natur zu überschreiten", so befolgt nun Johanna Schall diesen Rat nicht. Ihr kommt es vielmehr darauf an, mit Originellem aufzufallen.

So ordnet sie die vier Instrumente Akkordeon, Gitarre, Schlagzeug und Cello, mit denen die moderne Musik von Arian Teuffel und Bärbel Schwarz erzeugt wird, vier Schauspielern zu. So lässt sie Hamlet den Kirchturm besteigen und vom dortigen Rundgang sein Jackett auf die Treppe werfen. So lässt sie die Totengräber, die zu allem Überfluss auch noch schwäbisch schwätzen müssen, mit den Schädeln der Toten Ball spielen und hin und wieder werden ohne Not Mikrofone ins Spiel gebracht. Nach Hamlets Tod ist der Rest nicht Schweigen, sondern Fortinbras, der norwegische Prinz, erschießt Horatio, Hamlets aus Wittenberg nach Helsingör gekommenen Schulfreund. In diesem Staate Dänemark auf der Treppe vor St. Michael ist wirklich etwas faul.

Abgesehen von dem mit Gags durchsetzten, originalitätssüchtigen Regiekonzept von Johanna Schall, zu dem die bunte, die Moden verschiedener Zeiten nutzende, häufig an den Stil vor rund hundert Jahren erinnernde Kostümierung der Darsteller von Jenny Schall passt, können einige schauspielerische Leistungen durchaus überzeugen. Von insgesamt einem Dutzend Personen auf der Treppe spielt die Hälfte jeweils mehrere Rollen. Die Titelrolle gibt Sebastian Kreutz. Er macht die gesamte Bandbreite der Regungen und Gefühle Hamlets transparent. Einmal ist er himmelhoch jauchzend, dann zu Tode betrübt. Er zaudert, er schreit und wird dann wieder ganz nachdenklich. Er ist ein in sich zerrissener Charakter, der sich "ein wunderliches Wesen" anlegt, da er sieht, "die Zeit ist aus den Fugen".

Stephanie Theiß als seine Mutter Gertrud ist eine ebenso attraktive wie zwielichtige Gestalt. Jochen Neupert als sein Onkel Claudius ist der König von Dänemark, der skrupellos in jeder Beziehung zum Ziel seiner Wünsche kommen will. Bettina Storm als Ophelia hat sich auch die Hamlet-Frage "Sein oder Nichtsein" zu stellen, teils englisch zu sprechen und nach dem Tod ihres von Vilmar Bier als Speichellecker gespielten Vaters Polonius irre zu werden, was sie in jeder Beziehung überzeugend bewältigt.

Hendrik Schall ist der expressive, auf Rache sinnende Laertes. Mit Gitarre und Studentenmütze kommt Nils Buchholz als Hamlets Freund Horatio an den dänischen Hof. Rosenkranz und Güldenstern und dann Totengräber, Fortinbras und dessen Begleiter sind Tobias Dürr und Shantia Ullmann. Der Geist von Hamlets Vater ist nicht zu hören. Dafür rufen Schiffssirenen immer wieder an Bord. Und Gertrud sagt zu Recht: "Mehr Inhalt, weniger Kunst"! Dieter Schnabel

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