12. April 1973: Ein Deutschlehrer im Schwarzwald lässt seine Elfklässler eine Klassenarbeit mit dem Thema Vergleich von Kleists "Michael Kohlhaas" mit Heinrich Schliemann, Adolf Hitler und "Kaufhausbrandstifter" Andreas Baader schreiben - zu einem Zeitpunkt, als allein im Mai 1972 vier Morde und fünfzig Verletzte auf das Konto der nach Baader benannten Terrorgruppe gingen.
"Ein Kaufhaus in Brand zu stecken bedeutet, seinen Besitzer zu schaden, nicht aber die Bevölkerung zu 'terrorisieren'", argumentiert der 18-jährige Schüler Johannes Th. - "wenn keine Personen zu Schaden kommen", vermerkt der Lehrer mit Rot am Rand und begründet die Note "2+" damit, dass "Verf. zeigt, daß er selbständige Gedanken darstellen kann. Die Aktualisierung der Kohlhaas-Problematik ist gelungen." Zwölf Jahre später kommt Johannes Th. bei der vorzeitigen Explosion einer Bombe, die er als Unterstützung für den Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF legen wollte, ums Leben.
Gelegenheitsfund
Auf fünf Seiten im Faksimile abgedruckt ist der von Dr. Rainer Schimpf (Haus der Landesgeschichte Baden-Württemberg) kommentierte Schulaufsatz in Band 25 der "Heilbronner Kleist-Blätter", dem Jahrbuch aus Heilbronn "für alle, die etwas (Neues) zu sagen haben". Herausgeber Günther Emig, Direktor des Kleist-Archivs Sembdner, Heilbronn, sieht in solchen "Gelegenheitsfunden" Zeugnisse der Wirkungsgeschichte des Dichters Heinrich von Kleist, in denen sich ein Stück Zeitgeist spiegelt.
Weitere Beiträge des voluminösen, ein Kilo schweren Bandes beschäftigen sich mit der Kleist-Büste im Arbeitszimmer des Bundespräsidenten und seiner Geschichte und bringen darüber hinaus neue Forschungsergebnisse beispielsweise zu einer vorgeschlagenen, dann aber doch nicht stattgefundenen "Käthchen-von-Heilbronn"-Aufführung in Stuttgart noch zu Kleists Lebzeiten.
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