Mannheim/Berlin. Sexuelle Minderheiten leben in Kamerun gefährlich, sie müssen Haftstrafen und Schlimmeres fürchten. Die Anwältin Alice Nkom verteidigt sie vor Gericht - und kämpft gegen die "Apartheid für Homosexuelle". Heute erhält sie in Berlin den Amnesty-International-Menschenrechtspreis.
Frau Nkom, wann sind Sie zuletzt bedroht worden?
Alice Nkom: Das war vor elf Monaten. Auf dem üblichen Weg: per SMS und Mail. Ich bin auch direkt angesprochen worden von Leuten, die mir sagten, ich solle mich entscheiden: "Entweder du hörst auf, dich zu engagieren für diesen Abschaum der Gesellschaft, für diese Tiere, die du verteidigst - oder du stirbst. Oder es könnte sein, dass deiner Familie etwas passiert."
Wie reagieren Sie darauf?
Nkom: Ich verhalte mich ganz normal als Bürgerin eines Landes, die eigentlich davon ausgehen können sollte, dass ihr Leben vom Staat geschützt wird: Ich habe Anzeige erstattet. Sämtliche Anzeigen sind aber unbearbeitet geblieben. Das ist beunruhigend, noch beunruhigender als die Bedrohung selbst. Meinen Mandanten ergeht es kaum besser.
Zum Beispiel?
Nkom: Einer meiner Mandanten hatte eine Liebes-SMS an einen anderen Mann geschickt, der ihn dann zu sich nach Hause einlud - wo schon die Polizei wartete. Ich habe ihn vor Gericht verteidigt, aber vergeblich: Er wurde verurteilt, zu drei Jahren Gefängnis. Seine Familie verstieß den jungen Mann. Später wurde er operiert und kam zu seinen Verwandten. Er starb, weil sie ihm Essen und weitere medizinische Behandlung verwehrten.
Dabei erlauben die Gesetze eine derartige Verfolgung gar nicht.
Nkom: So ist es. Der Artikel 347a im Strafgesetzbuch stellt zwar Homosexualität unter Strafe, bis zu fünf Jahre Haft sind möglich. Damit jemand verhaftet werden kann, müsste er aber in flagranti bei einem gleichgeschlechtlichen Akt erwischt werden. Darum schert sich die Staatsmacht aber nicht: Menschen kommen in Untersuchungshaft, weil Bekannte sie denunzieren - oft allein aufgrund von Vermutungen.
Was machen Sie dann?
Nkom: Ich gehe mit der Verfassung und dem Strafgesetzbuch unter dem Arm zum Staatsanwalt, der die Polizei zur Verhaftung veranlasst hat. Ihm erkläre ich, dass er damit gegen die Gesetze verstößt. Oft gelingt es mir vor Beginn einer Gerichtsverhandlung, die Menschen freizubekommen. Viele der Fälle enden also positiv. Das funktioniert aber nur, wenn ich schnell von dem Fall erfahre und wenn er sich in meiner unmittelbaren Umgebung abspielt. Ansonsten kann ich eine Gerichtsverhandlung nicht verhindern.
Und dann?
Nkom: Ein Beispiel: Vor kurzem sind zwei junge Männer wegen vermeintlicher Homosexualität zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Und warum? Weil sie Baileys getrunken hatten! Nach dem Motto: Wer das trinkt, ist kein Mann, das sind Homosexuelle. Vor dem Berufungsgericht konnten wir das Urteil kippen. Dagegen wurde nun Revision eingelegt - aber das fürchte ich nicht, so kann ich das Grundproblem thematisieren: den Artikel 347a, dieses Fallbeil für viele junge Männer.
Wie konnte es so weit kommen?
Nkom: In Kamerun gibt es seit 1965 das Strafgesetzbuch, beschlossen vom Parlament. Dort gibt es eine Liste mit Handlungen, die unter Strafe stehen: Polygamie und Bigamie, Homosexualität aber nicht. Dann hat 1975 der Präsident den Paragrafen 347a hinzugefügt - per Erlass. Das hätte er nicht gedurft, er hat das Prinzip der Gewaltenteilung verletzt und gegen die Verfassung verstoßen.
In jüngster Zeit scheint die Hetze gegen Homosexuelle zuzunehmen, nicht nur in Kamerun, auch in Uganda. Wie kommt das?
Nkom: In Kamerun ist es so: Die Regierung hat einen Kreuzzug begonnen, auch die Kirche macht mit. Seit 2005 ist es immer schlimmer geworden. So hat der Bischof von Yaoundé in dem Jahr eine Brandrede gehalten und Homosexuelle beschuldigt, hat Amts- und Würdenträger beschuldigt. Die Medien haben sogar eine Namensliste veröffentlicht mit vermeintlich Homosexuellen . . .
. . . so wie in Uganda . . .
Nkom: Kinder weigerten sich, in die Schule zu gehen, weil sie die Namen ihrer Eltern auf der Liste gelesen hatten. Der Präsident sprach dann ein Machtwort, doch die Verhaftungen gingen weiter. Auch den Artikel 347a gibt es noch immer. Die Situation, die daraus entsteht, würde ich mit dem Wort Apartheid für Homosexuelle beschreiben. Und dagegen kämpfe ich.
Alice Nkom
Die Menschenrechtlerin wurde am 14. Januar 1945 in Kamerun geboren. Sie ist laut Amnesty International die erste schwarze Frau, die in Kamerun als Anwältin zugelassen wurde.
Die 69-Jährige setzt sich gegen die Ausgrenzung Homosexueller ein. 2003 gründete sie die Organisation ADEFHO, die sexuelle Minderheiten unterstützt.
Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder.
Am 26. März hält Alice Nkom um 19.30 Uhr an der Uni Mannheim einen Vortrag über ihren Einsatz. jup
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