Mannheim. Der Mannheimer Arbeitsrechtsexperte Jan Tretow warnt: Wer Urlaub in einem Corona-Risikogebiet macht, muss danach in der Quarantäne möglicherweise auf Gehalt verzichten. Urlaub sei zwar Privatsache, aber beim Gesundheitsschutz hätten Arbeitgeber auch eine Fürsorgepflicht.
Zur Person: Jan Tretow
- Jan Tretow arbeitet seit September 2018 in der Mannheimer Kanzlei für Arbeitsrecht Dr. Growe & Kollegen.
- Der 30-Jährige hat Jura in Heidelberg mit dem Schwerpunktbereich Arbeits- und Sozialrecht studiert.
- Er ist in der Nähe von Münster aufgewachsen und lebt seit einigen Jahren in Mannheim.
Herr Tretow, darf ein Arbeitgeber die Beschäftigten überhaupt fragen, wo sie in Urlaub waren?
Jan Tretow: Der Arbeitgeber darf nicht nach dem konkreten Urlaubsort fragen. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg geht aber davon aus, dass Arbeitgeber allgemein fragen dürfen, ob Beschäftigte sich in einem Risikogebiet aufgehalten haben. Aus unserer Sicht handelt es sich um einen Grenzfall. Der Arbeitgeber hat Fürsorgepflichten im Hinblick auf die Gesundheit der anderen Mitarbeiter. Außerdem muss er seinen gesetzlichen Pflichten des Arbeitsschutzes nachkommen. Dagegen steht das Persönlichkeitsrecht des betroffenen Arbeitnehmers.
Was ist, wenn ich lüge?
Tretow: Was der Arbeitgeber nicht fragen darf, müssen Arbeitnehmer nicht (wahrheitsgemäß) beantworten. Die allgemeine Frage nach einem Aufenthalt im Risikogebiet sollte wahrheitsgemäß beantwortet werden, sonst drohen Abmahnung oder sogar Kündigung.
Ein Arbeitnehmer muss nach seiner Rückkehr aufgrund der gesetzlichen Vorschriften in Quarantäne: Muss der Arbeitgeber ihn bezahlen, wenn Homeoffice nicht möglich ist?
Tretow: Grundsätzlich behält der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Vergütung, wenn er vorübergehend an der Arbeitsleistung ohne eigenes Verschulden verhindert ist. Allerdings sollten Arbeitnehmer davon ausgehen, dass diese Vorschrift in der Regel nicht anwendbar sein wird. Bei einer durch das Gesundheitsamt angeordneten Quarantäne kann Arbeitnehmern eine staatliche Entschädigung in Höhe des ausgefallenen Lohnes nach dem Infektionsschutzgesetz zustehen. Der Arbeitgeber zahlt die Entschädigung für die zuständige Behörde längstens für sechs Wochen aus. Dauert die Quarantäne länger, zahlt die zuständige Behörde wie beim Krankengeld.
Wo sehen Sie Probleme bei der Entschädigung während der Quarantäne?
Tretow: Hier heiß es Achtung! Das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg geht in seinen Fragen und Antworten zur Corona-Verordnung bei dieser Frage (Stand: 5. August 2020) davon aus, dass kein Entschädigungsanspruch bestünde, weil die Quarantäne bei bewusster Reise in ein Risikogebiet hätte vermieden werden können. Arbeitnehmer sollten aber nicht einfach hinnehmen, wenn ihnen die Entschädigungszahlung verweigert wird. Es sprechen gute Argumente dafür, dass auch bei einem Urlaub in einem Risikogebiet der Anspruch grundsätzlich bestehen kann.
Angenommen ich kehre aus einem Risikogebiet zurück und erkranke: Bekomme ich weiter Gehalt?
Tretow: Bei einer Erkrankung mit Corona gelten dieselben Regelungen wie bei jeder anderen Krank-heit. Führt die Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit, besteht in der Regel ein Anspruch auf bis zu sechs Wochen Lohnfortzahlung. Bei eigenem Verschulden kann der Anspruch ausgeschlossen sein. Das setzt aber voraus, dass man in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt. Es kommt auf den Einzelfall an. Wenn Arbeitnehmer während des Urlaubs im Risikogebiet die empfohlenen Verhaltensregeln zur Minimierung des Infektionsrisikos einhalten und dennoch erkranken, kann ihnen die Lohnfortzahlung in der Regel nicht verweigert werden.
Darf der Arbeitgeber die Beschäftigung verweigern oder von einem negativen Testergebnis abhängig machen?
Tretow: Sofern es keine speziellen Vorschriften im Betrieb gibt, ist dies nur zulässig, wenn der Arbeitgeber konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass von dem Beschäftigten eine Ansteckungsgefahr ausgeht – zum Beispiel Krankheitssymptome. In sensiblen Branchen, in denen eine potenzielle Infektion besonders gravierende Auswirkungen hätte, etwa in Krankenhäusern, ist im Rahmen eines betrieblichen Arbeitsschutzkonzeptes regelmäßige Testung vorgesehen. Der Arbeitgeber darf grundsätzlich auch keinen Zwangsurlaub anordnen.
Können Beschäftigte, die im Risikogebiet Urlaub machen, gekündigt oder abgemahnt werden?
Tretow: Abmahnung und Kündigung setzen die Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsvertrag vo-raus. Urlaub gehört zur privaten Lebensführung. Es muss im Einzelfall abgewogen werden, ob die vertraglichen Rücksichtnahmepflichten in diesen privaten Bereich einwirken. Wenn Arbeitnehmer im Urlaub die empfohlenen Verhaltensregeln zur Minimierung des Infektionsrisikos einhalten, wird in der Regel auch keine Pflichtverletzung vorliegen.
Was wäre, wenn ich im Urlaub nach Österreich fahre, das bisher nicht Risikogebiet ist – aber während meines Aufenthalts dazu erklärt würde? Was gilt dann?
Tretow: Für die Gesundheitsämter (beispielsweise für eine Quarantäne) ist entscheidend, ob das entsprechende Land bei Wiedereinreise nach Deutschland Risikogebiet ist. Im Arbeitsverhältnis gilt: Wenn die Einstufung als Risikogebiet nicht absehbar war vor Antritt der Reise, kann auch kein Verschulden des Arbeitnehmers vorliegen.