Três Unidos. Das Dickicht beginnt direkt hinter den Häusern. Meterhoch, fast undurchdringlich ragt der Regenwald hier auf, kaum zwei Armlängen von den letzten Dächern entfernt. Auf der anderen Seite des Dorfes liegt der Rio Negro, ein Zufluss des Amazonas, ein träger, breiter Strom. Auf den wenigen Metern sandigen Bodens dazwischen und rund 300 Kilometer vom Äquator entfernt befinden sich am Dienstag zwei grüne Bundesminister. Robert Habeck und Cem Özdemir sind auf ihrer Südamerika-Reise ins brasilianische Amazonas-Gebiet gereist, um sich anzuschauen, ob sich vermeintlich Gegensätzliches vereinbaren lässt: im Wald zu leben und zu wirtschaften und ihn gleichzeitig dabei zu schützen. Das Dorf Três Unidos, mit dem Schnellboot über den Rio Negro gut eine Stunde von Manaus entfernt, soll dafür ein Beispiel sein.
„Ich bin Robert, und das ist Cem“, stellt Habeck die Besucher in sehr einfachen Hauptsätzen vor. Sie seien Minister der deutschen Regierung: „Das ist so etwas wie euer Häuptling.“ Und sie seien gekommen, um zu lernen und zu verstehen, wie die Menschen hier lebten.
Rund 150 Menschen von der indigenen Gruppe der Kambeba leben in der kleinen Siedlung, in bunten Holzhäusern, auf deren Wellblechdächern Solarzellen Energie sammeln. Ein Restaurant gibt es, auch ein kleines Hotel, an dessen Eingang ein Schild selbstironisch erklärt, es sei kein Luxus – „aber es hat Wifi“.
Unterstützt wird das Dorf von der Stiftung für ein nachhaltiges Amazonien. Wo die Menschen Bildung und wirtschaftliche Möglichkeiten haben, so der Gedanke, sind sie nicht gezwungen, in die Städte zu gehen. Es ist der Versuch, wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen, ohne dafür den Wald zu opfern.
Bedrohtes Ökosystem
Beides zu vereinen, ist dringend nötig. Denn der Amazonas-Regenwald ist bedroht. Rund 18 Prozent des Ökosystems, dass für ein stabiles Weltklima unverzichtbar ist, sind gerodet. In Brasilien, auf dessen Staatsgebiet 60 Prozent des Waldes liegen, hatte die Entwaldung unter der Regierung des vorherigen Präsidenten Jair Bolsonaro zugenommen.
So große Teile sind bereits abgeholzt, dass Forscher befürchten, der Wald sei dem Punkt nahe, wo er sich von den Belastungen wie Bränden oder Trockenheit nicht mehr erholen kann und weiter schrumpft. Die Folgen für die Niederschläge in Südamerika, aber auch das globale Klima wären gravierend.
In Deutschland war deshalb die Freude groß, dass die neue Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den Stopp illegaler Abholzung zu einem ihrer zentralen Anliegen erklärt hat. Zu seinem Besuch bei Lulas Amtseinführung im Januar brachte Bundespräsident Steinmeier die Nachricht mit, dass bis dahin eingefrorene 35 Millionen Euro für den Amazonas-Fonds freigegeben wurden. Und Habeck erklärte nun, dass Deutschland über die Internationale Klimaschutzinitiative (IKI) weitere 30 bis 50 Millionen Euro für Projekte wie in Três Unidos zur Verfügung stellen wolle.
Doch gleichzeitig treibt die Bundesregierung ein Projekt voran, dass die Umweltorganisation Greenpeace als „Albtraum für die Natur“ bezeichnet: das Handelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur, dem auch Brasilien angehört. Das Abkommen, das eine Handelszone mit insgesamt mehr als 700 Millionen Menschen schaffen würde, ist ein Langzeitprojekt – die Verhandlungen, die 1999 begannen, wurden 2019 eigentlich abgeschlossen. Doch das Interesse, sich enger mit dem Hardliner Bolsonaro zu verbinden, war in Europa sehr begrenzt.
Jetzt soll es schnell gehen – Lula selbst will das Abkommen noch im ersten Halbjahr 2023 finalisieren. Auf deutscher Seite hat man zwar Zweifel, ob das realistisch ist, drängt aber auch zur Eile. Doch es gibt noch Gesprächsbedarf. Nicht nur die Umweltverbände haben Sorgen, dass mehr Handel mit Europa, vor allem von Agrarprodukten, auch mehr Abholzung bedeuten wird. Innerhalb der Grünen gibt es ebenfalls Widerstände, und auch der Deutsche Bauernverband hat sich gegen den Abschluss in dieser Form ausgesprochen. Und auch wenn man ein ums andere Mal beteuert, dass man Lulas Regierung beim Schutz des Waldes vertraut – ein paar mehr Sicherheiten hätte man auch in der Bundesregierung gern. Aktuell laufen Gespräche zwischen der EU-Kommission und den Mercosur-Staaten über eine Zusatzvereinbarung.
Schwierige Aufgaben
Das Abkommen könnte grünen Standards in Brasilien mehr Gewicht verleihen, sagt Virgilio Viana, Vorsitzender der Stiftung für ein nachhaltiges Amazonien. Aufgaben wie die Nachverfolgung, dass Soja oder Fleisch produziert wurden, ohne die Entwaldung voranzutreiben, seien schwierig, aber „machbar“.
Habeck nimmt in Brasilien eine andere Einstellung zum Vertrag auch unter Umweltschützern wahr. In Deutschland gebe es die Sorge, „dass durch mehr Handel mehr Zerstörung passiert“, sagte er. Doch die meisten seiner Gesprächspartner in Brasilien – Menschen, „die wirklich ihr Leben dem Schutz des Regenwalds verpflichtet haben“ – sähen das anders. Sie würden argumentieren, dass mit einem funktionierenden Markt für nachhaltige Wirtschaftsarten nicht nachhaltige Wirtschaftsformen zurückgedrängt würden. Kurz darauf steigen Habeck und Özdemir wieder in die Boote, die sie zurück nach Manaus bringen.