Wiesbaden. Die Corona-Pandemie hat die hessische Wirtschaft je nach Branche besser oder schlechter überstanden, die Bewältigung der Energiekrise dauert noch an. Doch der Strukturwandel und die Transformation in nachhaltige und auch klimagerechte Produktion bleiben als große Zukunftsaufgaben. Grund genug für den ersten Wirtschaftsgipfel in der Wiesbadener Staatskanzlei, zu dem Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) am Freitag 26 Akteure aus Unternehmen, Verbänden, Gewerkschaften und Hochschulen eingeladen hatten.
Und das Treffen hat auch schon ein erstes Ergebnis: einen unabhängigen „Zukunftsrat Wirtschaft“, der Vorschläge für ein Gelingen der anstehenden Veränderungen erarbeiten soll. Dass solch weitreichende Veränderungen notwendig sind, um zu überleben und Arbeitsplätze zu sichern, sei in der Zusammenkunft Konsens gewesen, berichten Rhein und Al-Wazir nach der dreieinhalb Stunden dauernden Konferenz.
Und die frisch gekürten Vorsitzenden des wiederum 26 Mitglieder zählenden Rats bestätigen diese Aussage. Es sind die Vorstandsvorsitzende des Darmstädter Energieversorgers Entega, Marie-Luise Wolff, und der Wirtschaftsprofessor Volker Wieland von der Goethe-Universität in Frankfurt.
Vier Themenblöcke erarbeitet
In welche Richtung die Veränderungen gehen müssen, zeigen schon die vier Themenblöcke, die sich das Gremium als erste vorgenommen hat: Digitalisierung, Dekarbonisierung, Arbeit der Zukunft und schließlich die strategische Positionierung des Wirtschaftsstandorts Hessen auf internationaler Ebene. Ein ehrgeiziges Unterfangen, zumal der Rat schon im August erste Ergebnisse für seine Handlungsempfehlungen vorlegen will, die dann möglichst bis zum Jahresende vervollständigt werden sollen. Dazwischen liegt am 8. Oktober die Landtagswahl in Hessen, doch der Ministerpräsident hofft, dass die Ergebnisse des Zukunftsrats weit über den Wahltag hinaus wirken, wer auch immer daraus siegreich hervorgeht und die neue Landesregierung stellt.
Bewusst gehören dem Panel keine Politiker an. Vertreten sind vor allem Unternehmer, wie beispielsweise Fraport-Chef Stefan Schulte oder Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer von Lufthansa, Opel, Merck und auch Börsenchef Theodor Weimer oder aber Vertreter mittelständischer Unternehmen wie der Blechwarenfabrik Limburg oder der Umweltdruckerei Lokay in Reinheim.
An dem von der Landesregierung erbetenen Rat wirken aber auch die Landesspitzen von Industrie- und Handelskammer sowie Handwerkstag, Deutscher Gewerkschaftsbund und IG Metall und mehrere Hochschullehrer mit. Rhein und Al-Wazir, aber auch Wolff und Wieland waren ganz angetan vom konstruktiven Auftakt der Zusammenarbeit am Freitag. Da sei ein ehrliches Ringen um Lösungen mit Eingehen auf den jeweiligen Vorredner spürbar gewesen und nicht bloß ein Abspulen von Positionspapieren.
„Die Aufgabe ist klar“, geben der hessische Regierungschef und sein Stellvertreter dem Rat mit auf den Weg. „Wir müssen digitale Technologien optimal nutzen, weniger Ressourcen verbrauchen und dabei bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden“, betonen sie.
Heimat innovativer Firmen
Hessen sei die Heimat vieler innovativer Unternehmen und hochqualifizierter Beschäftigter und lebe dank einer prosperierenden Wirtschaft seit Jahrzehnten in hohem Wohlstand. Doch die Krisen der Gegenwart und Trends der Zukunft seien Herausforderungen, für die jetzt gemeinsame Lösungsstrategien entwickelt werden müssten. Auch Wirtschaft und Gewerkschaften ziehen den Angaben zufolge dabei schon an einem Strang und stehen nicht wie sonst üblich gegeneinander.
Doch in einer am Nachmittag veröffentlichten Pressemitteilung zeigt sich DGB-Landeschef Michael Rudolph betont zurückhaltend. „Eine konzertierte Aktion während der Wahlperiode wäre besser gewesen als ein Tusch zum Schluss“, mokiert er sich über den Zeitpunkt des Wirtschaftsgipfels gut ein halbes Jahr vor der Landtagswahl. „Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, dass die Anstrengungen auch zu gemeinsamen Handlungen führen“, schließt der Gewerkschafter seine Erklärung zumindest wieder versöhnlicher.
Der hessische AfD-Vorsitzende Andreas Lichert kommentiert dagegen spöttisch: „Wenn man nicht mehr weiter weiß, beruft man einen Arbeitskreis“. Er nennt den „sogenannten Klimaschutz“ Gift für die Wirtschaft und fordert ein Ende des „Kriegs gegen die Autofahrer“.