Hofgarten. „Wir sind zum ersten Mal in diesen fast heiligen Hallen“, freute sich Heide Fahrenkrog-Keller, Vorsitzende des Frauenvereins, beim 28. Wertheimer Frauenfest im Hofgartenschlösschen im gut gefällten Saal. Das Ambiente passte optimal zum Thema des Abends. Denn es wurde musikalisch. Doch kaum einer wird die Stücke gekannt haben. Denn es waren Werke von Komponistinnen, die oft im Abseits stehen. Diesen hat sich Musikjournalist Fridemann Leipold (Bild), Redakteur bei BR Klassik, angenommen.
Als Marlise Teicke vom Frauenverein dessen Sendung hörte, wusste sie: „Den müssen wir zum Frauenfest einladen.“ Und das hat sich gelohnt. Bei seinem eineinhalbstündigen Vortrag mit Musikbeispielen, hauptsächlich aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, konnten die Gäste nicht nur kraft- und temperamentvoller Musik lauschen, sondern lernten auch zehn unterschiedliche, aber gleichermaßen faszinierende Frauen kennen.
„Das Weib gebiert den Menschen, der Mann das Kunstwerk“, sagte einst niemand Geringeres als der Philosoph Friedrich Schlegel und zeigt damit die Einstellung zu weiblichen Komponistinnen über viele Jahrhunderte. So wurden die meisten vergessen. Deshalb sparte Leipold die beiden Komponistinnen in seinem Vortrag aus, die als einzige bekannter sind: Fanny Mendelssohn, später Hensel, und Clara Schumann. Auffällig sei hier, dass sie vor allem als Pendant zu ihrem Bruder beziehungsweise Ehemann stärkere Bekanntheit erlangten. So habe Clara Schumann mit dem Komponieren aufgehört, weil sie ihrem Mann Robert den Rücken freihalten musste, und erklärte selbst, Frauen seien eben keine Komponistinnen.
Das nahmen die vorgestellten Frauen des Abends aber so nicht hin. In seiner „subjektiven Auswahl“ begann Leipold mit der jüdisch-stämmigen Amerikanerin Marion Eugenie Bauer, die an der Juilliard School in New York lehrte und 160 Kompositionen hinterließ. Ein Musikjournalist attestierte ihr nach einer Aufführung, ihre Komposition sei „nicht damenhaft, sondern wie von einem Mann“ gewesen – dies war als Kompliment gemeint. Als die Musik erklang, ahnte man, was er meinte, so mitreißend und rhythmisch war sie.
Die Schwedin Elfrida Andree galt als Wirbelwind. Sie war die erste Organistin am Dom zu Göteborg und hinterließ zwei Orgelsinfonien, zwei Messen und eine Oper mit dem Libretto von Selma Lagerlöf, der ersten mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Autorin.
Eher konservativ und tief im Katholizismus verwurzelt war Melanie Bounis, die aus einfachen Verhältnissen stammte und trotz geringer musikalischer Förderung am Konservatorium in Paris studieren durfte. Später war sie gezwungen, einen Witwer mit fünf Kindern zu heiraten. Sie bekam drei weitere. Doch die Ehe bot ihr die finanzielle Freiheit, weiter zu komponieren. So entstanden 300 Stücke, oft aber unter dem Pseudonym Mel Bounis, das auch hätte männlich sein können. Kein Wunder, dass es ihr tragische Frauenfiguren angetan haben, denen sie Klavierstücke widmete.
Besonder faszinierend war die Britin Ethel Smyth. Sie studierte in Leipzig und hatte Kontakt zu Brahms und Grieg. Später schloss sie sich den Suffragetten an und komponierte deren Kampflied. Sie provozierte beim Kampf ums Wahlrecht ihre Verhaftung, wurde aber später anerkannt und sogar geadelt. Das Musikbeispiel, das Leipold hier gewählt hatte, war ein Choralvorspiel zum Stück „The prison“.
Wer Klavier spielen lernt, weiß vermutlich nicht, dass die heute verwendeten Techniken vermutlich von Marie Jaell beeinflusst wurden. Die Elsässerin reformierte das Klavierspiel, indem sie sich mit Beratung von Ärzten über Muskelverhalten und Tastsinn informierte und dazu mehrere Klavierschulen herausbrachte. Ihr berühmtester Schüler war Albert Schweitzer.
Ein Tag nach dem „Equal Pay Day“, bei dem es um gleiches Gehalt für Männer und Frauen geht, lernten die Besucherinnen und Besucher im Schlösschen eine Frau kennen, die das am Konservatorium in Paris für sich als Klavierlehrerin schon im 19. Jahrhundert durchgesetzt hatte: Louise Farrenc. Als „eine ganze Welt in drei Minuten“ kündigte Leipold die Nocturne von Lilly Boulanger an, die zwar schon mit 24 Jahren starb, aber bereits 1913 als 19-Jährige die erste Siegerin beim „Prix de Rome“ war, dessen Jury als besonders frauenfeindlich galt.
Über Dora Pejacevic, eine kroatische Adelstochter, wurde sogar ein Film gedreht, der zeitgleich mit dem Vortrag in München Premiere hatte. „Sie ist die kühnste und modernste der vorgestellten Komponistinnen“, erklärte der Experte. Er zeigte dies mit der Sinfonie in fis-moll, aus der er einen Ausschnitt vorspielte.
55 Jahre nach Schubert wagte es Emilie Mayer, die einzige deutsche Komponistin der Auswahl, den „Erlkönig“ zu vertonen. Fasziniert hörten die Gäste dieser unbekannteren, aber nicht minder gelungenen Interpretation der Goethe-Ballade.
Die letzte vorgestellte Frau, Florence Price, gilt als erste bekannte afroamerikanische Komponistin. Ihr Leben lang kämpfte sie gegen Sexismus und Rassismus. Sie baute in ihre Musik kulturelle Einflüsse ein, etwa traditionelle Plantagentänze, Spirituals und Gospels.
Zum Schluss blickte Leipold auf Frage aus dem Publikum noch auf den heutigen Musikbetrieb: „Es wird besser. Es gibt etwa zehn Prozent Dirigentinnen oder Opernregisseurinnen. Unsere Musikredaktion ist sogar paritätisch besetzt. Aber es geht immer noch mehr.“
Am Ende des Vortrags, wie auch schon nach einigen besonders ergreifenden Musikbeispielen, donnerte Applaus. Und man konnte Leipolds Fazit nur zustimmen: „Es gibt großartige Musikerinnen, man muss sie nur spielen.“ Bild: Nadine Schmid