Wertheim. Es ist kein exklusives Wertheimer Problem: Viele Innenstädte haben zunehmend mit Verödung zu kämpfen – es droht eine Abwärtsspirale: Weniger Kunden kaufen beim Einzelhandel oder nehmen Dienstleistungen in Anspruch. Geschäfte sind nicht mehr profitabel und müssen schließlich schließen. Das Ergebnis: Immer mehr Läden stehen leer, sodass die Altstadt als Ganzes an Attraktivität verliert und zu veröden droht.
„Wir wollen eine Innenstadt mit Leben“
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, startet die Stadtverwaltung eine Kampagne: Beim ersten Aktionstag „Tag der Wertheimer Freiräume“ sind in der Altstadt am Samstag, 29. November, von 11 bis 15 Uhr die Türen von acht leerstehenden Gewerbeobjekten geöffnet. Die Vermieter werden anwesend sein. Bei einem Pressegespräch erläuterten am Mittwoch der Innenstadtmanager Christian Schlager und der zuständige Fachbereichsleiter Volker Mohr das Konzept.
„Wir wollen eine Innenstadt mit Leben“, sagte Volker Mohr eingangs und äußerte die Hoffnung, dass sich aus dem Aktionstag „das eine oder andere ergeben“ könne. Die noch leeren Räume sollen nicht länger als Zeichen des Strukturwandels wirken, sondern zu Treffpunkten für Visionen, Gespräche und Begegnungen werden, so Christian Schlager. Mit dem Aktionstag wolle die Stadt den Menschen Mut machen, Räume neu zu denken, Schwellen abzubauen und Unsicherheit durch Begegnung zu ersetzen.
Leere Räume sollen zu Orten des Austauschs werden
Initiator Christian Schlager geht mit Euphorie und Pragmatismus gleichermaßen voran. „Wir wollen den Zauber der Altstadt betonen und zeigen, dass hinter jedem Laden eine Geschichte und ein potenzieller Neuanfang steht. Jeder kann hereinkommen, jeder kann mitgestalten.“ So entstünden für einen Tag kleine Bühnen des Austauschs zwischen Eigentümern und Menschen mit Geschäftsideen.
Die Anziehungskraft des Stadtzentrums war über viele Jahrzehnte ein Garant für soziales Miteinander – ob beim Bäcker, im Buchladen, an der Theke eines Cafés oder beim Bummel mit Freunden. Doch Onlinehandel, hohe Mieten und veränderte Lebensgewohnheiten setzen dem klassischen Einzelhandel schwer zu.
In Wertheim wird das Problem besonders in der Eichelgasse sichtbar: Hier stehen gleich mehrere Geschäfte seit Langem leer. Manche werden offenbar absichtlich nicht genutzt – es handelt sich um „Geisterläden“, angemietet von einer Frau, die seit Jahren keine sichtbare Geschäftstätigkeit entwickelt.
Initiative kritisiert „Geisterläden“ und Stillstand
Dagegen hat sich eine Initiative gebildet, die Frust und Hoffnung auf Veränderung eine Stimme verleiht: „Wertheim darf keine Geisterstadt werden!“, mahnt ein Plakat der Initiatoren (wir berichteten). Die Vermieter der Geisterläden könnten sich zwar momentan über stetige Mietzahlungen freuen, doch langfristig würden die leerstehenden Flächen auch ihnen schaden, warnt Schlager. Die betroffenen Geschäfte dürften, wenn das „Geschäftsmodell“ der Künstlerin irgendwann zusammenbricht, deutlich weniger Miete abwerfen, weil die Stadt durch diese Leerstände in die Abwärtsspirale getrieben werde.
„Was unsere Stadt ausmacht, ist nicht nur die Bausubstanz oder das historische Erbe, sondern das Miteinander der Menschen“, sagt Schlager. Der Aktionstag diene nicht nur als Gelegenheit, um Mietverträge anzubahnen, sondern soll die Innenstadt als Plattform für Dialog und Austausch zurückgewinnen.
Eigentümer sollen stärker eingebunden werden
Die Eigentümer sind ausdrücklich eingeladen, ihre Sicht der Dinge einzubringen. „Oft entstehen Missverständnisse, wenn es an persönlicher Begegnung fehlt“, so Schlager. „Wir hoffen, dass der Aktionstag nicht nur als Immobilientour, sondern als Türöffner für neue Netzwerke wirkt.“ Man wolle voneinander lernen und gegenseitiges Verständnis fördern – etwa bei Mietpreisen oder Investitionshürden.
Der „Tag der Wertheimer Freiräume“ ist als Auftakt gedacht. Verwaltung und Partner planen halbjährlich ähnliche Aktionen – analog und digital. Attraktiv gestaltete Plakate mit klarer Botschaft („Wir haben die Läden, du hast die Ideen“) und bunte Würfelsysteme in Schaufenstern sollen neugierig machen und Mut zur Teilhabe wecken. Hinter jeder Tür stecke die Chance auf etwas Neues – vielleicht ein kreatives Atelier, ein Pop-up-Store, ein Café oder eine Werkstatt.
Von kleinen Geschäftsräumen bis zum früheren Norma-Markt
In den vergangenen Wochen wurden die Standorte, die zum Aktionstag öffnen, sorgfältig ausgewählt – von kleineren Einheiten bis hin zum früheren Norma-Markt oder dem bekannten Glaspavillon an der Tauber. Für verschiedene Bedürfnisse ist also etwas dabei. Christian Schlager vertraut dabei auch auf Impulse von außen: „Wer in seinen kühnsten Träumen schon einmal daran dachte, sich selbstständig zu machen, bekommt hier die seltene Gelegenheit, einfach mal reinzuschnuppern“, betont er.
Natürlich sind nicht alle Herausforderungen lokal lösbar. Viele Läden dürfen nicht einfach in Gastronomie umgewandelt werden, mancher Leerstand hat strukturelle Ursachen. Nutzungsmöglichkeiten bestehen etwa für Ateliers oder Handwerksbetriebe. An anderer Stelle könnte dringend benötigter Wohnraum entstehen.
Altstadt als Ort von Geschichte und Lebensgefühl
Die Stimmung am Aktionstag soll Hoffnung geben: Die Altstadt sei mehr als ein Ort, sie ist ein Lebensgefühl, das sich mit jedem neuen Impuls verändert und doch bewahrt werden will, so Schlager. Jede genutzte Ladenfläche sei ein Schritt zur Rückgewinnung von Identität.
Die Stadt will mit der Initiative die Energie der Beteiligten bündeln: Verwaltung, Vermieter, kreative Köpfe und engagierte Bewohner. „Wir nehmen Geld in die Hand – jetzt ist es Zeit für neue Gespräche und neue Taten“, sagt Volker Mohr. Der Aktionstag ist laut Schlager Einladung und Anfang zugleich. Das ständige Ringen um eine lebendige Altstadt brauche Mut, Offenheit und den Willen, gemeinsam neue Kapitel zu schreiben.
Nähere Informationen zu der Aktion finden sich unter
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