Archiv Bronnbach

Familie und Beruf vereinbarer machen

Vortrag zum Frauenwahlrecht. Wertheimer Frauenrechtlerin bei Wikipedia vergessen

Von 
Nadine Schmid
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Monika Schaupp, Leiterin des Archivverbunds Bronnbach, mit Historikerin Sylvia Schaut. © Nadine Schmid

Bronnbach. „Das Wahlrecht für Frauen signalisierte den Frauen – jetzt habt ihr, was ihr wollt. Jetzt seid zufrieden“ überspitzte Monika Schaupp, Leiterin des Archivverbunds Bronnbach die Wahrnehmung im Jahr 1919, als mit Beginn der Weimarer Republik die Frauen das Recht zu wählen bekamen. Wie es dazu kam, was erreicht wurde und was noch immer zu tun ist, darüber referierte die Historikerin Sylvia Schaut, Professorin unter anderem für Frauen- und Geschlechtergeschichte bei einer Kooperationsveranstaltung des Archivs mit dem Frauenverein.

Dabei ging sie unter anderem auf die Wertheimer Lehrerin Ottilie Klein ein, die in Baden und sogar reichsweit als Vorsitzende des Badischen Lehrerinnenvereins viel bewirkte – und trotzdem auf Wikipedia nicht bei den berühmten Söhnen und Töchtern der Stadt aufgeführt ist. Dies nur eines von viele Beispielen des Abends, das weibliche Leistungen gerne übersehen werden.

Jede 24. Frau war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Baden in einem Frauenverein organisiert. Ist das ein Zeichen für eine frühe Gleichberechtigung in Baden? Ja und nein, wie der Vortrag Schauts belegte. Immerhin gab es in Karlsruhe das erste Mädchengymnasium und 1900 war Baden das ersten Land, das den Frauen auf regionaler Ebene das Wählen erlaubte. Andererseits kümmerten sich die Frauenvereine um das, was heute noch immer schwerpunktmäßig bei den Frauen liegt: die so genannte Care-Arbeit, also das Kümmern beispielsweise um Kinder und alte Menschen.

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„Das Wahlrecht war ein wichtiger Schritt, aber es war und ist wichtig, hier nicht stehenzubleiben“, betonte die Referentin zu Beginn. Und ordnete daher das Jahr 1919 in die gesamte Geschichte des Kampfs für Gleichberechtigung ein.

Gesellschaftliche Strukturen

Sie setzte dafür im 19. Jahrhundert an, denn damals seien mit der Industrialisierung viele gesellschaftliche Strukturen geschaffen worden, die bis heute gelten würden. Die bürgerliche Frauenbewegung entwickelte sich ab etwa den 1890er Jahren. Vor allem sei es den Frauen um karitative und soziale Hilfe gegangen und politisch um den Zugang von Mädchen und Frauen zu Bildung und Beruf. Das Wahlrecht habe zu dieser Zeit noch nicht oben auf der Agenda gestanden. Speziell die von Fürstinnen gegründeten „Vaterländischen Frauenvereine“ hätten sich diesem Aufgaben verschrieben. Es sei schwerpunktmäßig eine bürgerliche Frauenbewegung gewesen, in deren Organisationen allerdings um 1900 etwa eine Million Frauen dabei waren.

In Wertheim wurde 1824 einer der ersten vaterländischen Frauenvereine Badens vom Fürsten in Andenken an seine verstorbene Frau gegründet. Dieser setzte sich für soziale Zwecke, etwa ein Industrieschule für Kinder ein. Vor dem ersten Weltkrieg gab es den Ortsverein der Lehrerinnen um Ottilie Klein, die auch die erste Frau im Wertheimer Gemeinderat war. Außerdem einen Ortsverein des Badischen Frauenvereins und den „Verband für deutsche Frauenkleidung und Frauenkultur“, dessen Zweck es wohl vor allem war, für die Frauen etwas bequemere Kleidung zu fordern. Man dürfe diese soziale Aufgabe auf dem Weg hin zum Recht zu wählen nicht gering schätzen, betonte Schaut.

Auf Stimmenfang

Das Wahlrecht für Frauen hätten zuerst die Sozialdemokraten gefordert. „Aber nicht, weil sie so wild auf Gleichberechtigung waren, sondern, weil sie davon ausgingen, dass die Arbeiterinnen wählen, die Bürgerinnen aber nicht, und sie dadurch mehr Stimmen für sich bekommen.“ Dass es stärker um Partei-Interessen als um die Unterstützung von Frauen gehe, das sei bis heute so geblieben. „Auch Frauen wählen Frauen oft nicht“, zeigt sich die Referentin verwundert.

Im Wertheimer Gemeinderat sind heute 27 Prozent der Gemeinderäte Frauen. Aber erst 1962 folgte die zweite Gemeinderätin auf Ottilie Klein. Und Renate Gassert, Ehrenbürgerin der Stadt, die als Zuschauerin beim Vortrag dabei war, berichtete, dass sie noch 1989 viel Häme habe einstecken müssen, als sie sich um einen Sitz in dem Gremium bewarb. „Sie fragten: Was macht denn dein Mann so lange zu Hause?“ Sie habe das Gefühl gehabt, einige Geschlechtsgenossinnen seien neidisch gewesen, weil sie sich selber kein politisches Amt zutrauten. Noch heute haben nur 20 der 1101 Gemeinden und Städte in Baden-Württemberg einen Frauenanteil von mindestens 50 Prozent in diesem Gremium.

Auch das Familienrecht sei lange hinterhergehinkt, vieles habe Bezug nehmend auf den Gleichberechtigungsgrundsatz im Grundgesetz erst das Bundesverfassungsgericht geregelt, etwa in den Siebziger Jahren, dass Entscheidungen in der Ehe partnerschaftlich getroffen werden müssen.

Noch heute gebe es in den Köpfen das Modell des Mann als Hauptverdieners und der Frau als Zuverdienerin. Dies habe Auswirkungen beispielsweise auf die Rente. Auch würden Frauen noch immer mehr als doppelt so viel Care-Arbeit verrichten wie Männer. Es müssten nach Ansicht der Referentin mehr Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie, Beruf und politischen Ämtern geschaffen werden. „Warum nicht eine Kinderbetreuung während der Gemeinderatssitzung?“

In der anschließenden Diskussion kam der Einwand, dass die Frauen, die sich für mehr Zeit für die Familie entscheiden würden, nicht als weniger emanzipiert darstellen dürfe. Dem pflichtete Schaut bei. „Es muss gute Möglichkeiten für beide Modelle geben“, erklärte sie und verwies auf andere europäische Länder.

Es gab viele Denkanstöße für die über 20 anwesenden Besucher – darunter auch Männer – und die zwölf Personen, die die Veranstaltung online verfolgten.