Auf der Walldürner Höhe

Jetzt soll die Säge helfen

Ausufernde Mistelbestände bedrohen die Streuobstbestände

Von 
Engelbert Kötter
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Ernsthaft besorgt zeigen sich Winfried Kister (links) und Michael Schieser über die massive Ausbreitung der Laubholzmistel in den Streuobstbeständen der Walldürner Höhenorte – und empfehlen dringend deren deutliche Reduzierung. © Engelbert Kötter

Gottersdorf. Michael Schieser von der gleichnamigen Brennerei in Gottersdorf stehen Ernst und Sorge ins Gesicht geschrieben. Aus Obst produziert er „Hochgeistiges“. Wo aber andere sich darüber freuen einen hübschen Mistelzweig zu ergattern, bereiten gerade die ihm größte Sorge.

Seit Jahren nämlich beobachtet und kartographiert er für seinen Ort, wie sich die Mistel in den (Obst)Bäumen der Gemarkung immer weiter ausbreitet. So sehr, dass mit diesen Aufsitzerpflanzen dicht bestückte Bäume inzwischen häufig anzutreffen sind. Bäume, die unter der Beeinträchtigung ihrer Schmarotzer allmählich absterben. Und das nicht allein in der Seegemeinde, sondern auf der gesamten Walldürner Höhe.

Das bestätigt Winfried Kistner von den Kaltenbachtaler Mostköpfen. Jenes Freundeskreises, der eine besondere Freude an Obstbäumen rund um Reinhardtsachsen hat, sie hegt, pflegt und beerntet. Er ist der regionale Organisator des Streuobstförderprogramms Baden-Württemberg, das zum Ziel hat, die landschaftsprägenden Streuobstbestände zu pflegen, zu erhalten und womöglich noch auszuweiten. Seit 2015 betreut er rund 750 Streuobstwiesenbäume in Gottersdorf, Reinhardsachsen und Spritzenmühle, aber auch in Rippberg und Hornbach.

Jungbäume befallen

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Bereits auf Jungbäume im Alter von gerade einmal fünf bis zehn Jahren finden sich inzwischen Jungmisteln, beobachtet Kister und mahnt: „Wenn wir da nicht hinterher sind und sie sofort nach Erkennen entfernen, bringen sie den Baum binnen weniger Jahre zum Absterben, und alle Hege und Pflege war für die Katz.“ Die hier angesprochene Mistelart – es gibt weitere – gedeiht auf Laubbäumen, häufig auf Pappeln. Im Obstgarten auf Apfelbäumen, nicht aber auf Steinobst und Walnussbäumen. Birnbäume verstehen es, Mistelbefall selbstständig abzuwehren. Übertragen werden Misteln von Vögeln wie der Misteldrossel, die deren Früchte fressen. Die Samen darin gelangen über den Kot der Tiere auf Äste und Zweige, oder aber dann, wenn sie noch am Schnabel kleben und beim Schnabelwetzen darauf übertragen werden.

Auf befallenen Bäumen können die klebrigen Samen beim Herabfallen auch eigenständig an anderer Stelle im Baum hängen bleiben und dort Tochterbestände bilden. Die Samen keimen und die junge Mistel senkt ihre Wurzeln in die Leitbahnen ihres Wirts. Dort zehrt sie vom darin transportierten Wasser, samt der darin enthaltenen Nährstoffe. Photosynthese hingegen, betreibt die Mistel eigenständig.

In ihrer Konkurrenz um Wasser bedeuten die sich ausweitenden Mistelbestände angesichts zunehmend trockener Sommermonate eine ernsthafte Bedrohung für Streuobstbäume und Odenwälder Landschaftsbild. In der Natur haben Misteln zur Wahrung der Artenvielfalt durchaus ihre Bedeutung, denn dort ist auch Totholz erforderlich. In der Kultur hingegen, dem vom Menschen geprägten Teil der Natur, bedrohen oder zerstören sie gar seine Anstrengungen – hier die um Erzeugung von Äpfeln.

Reduzierung dringend geboten

Zugleich bedrohen Misteln, wo sie wie aktuell im Übermaß auftreten, die vielfältige ökologische Bedeutung von Streuobstbeständen. Bei dieser Abwägung zeige sich, sind Kister und Schieser sich einig, dass die Reduzierung der Mistel auf der Höh´ dringend geboten sei.

„Misteln stehen in Baden-Württemberg übrigens nicht unter Schutz“, korrigiert Michael Schieser einen weit verbreiteten Irrtum. In Übereinstimmung mit den Auffassungen von Naturschutzorganisationen wie dem Nabu, empfehlen Kister und Schieser sogar ausdrücklich, Misteln aus Obstbäumen ganzjährig ebenso konsequent wie möglichst frühzeitig zu entfernen. „Auch jetzt noch, vor dem Austrieb“, drängt Schieser, „denn in den noch unbelaubten Bäumen jetzt sind sie, inklusive der kleinen Jungpflanzen, noch leicht aufzufinden.“

Winfried Kister bietet an der Streuobstkultur interessierten Bürgerinnen und Bürgern an, mit den Kaltenbachtaler Mostköpfen und dem Ortschaftsrat Reinhardsachsen-Kaltenbrunn zusammenzuarbeiten und Baumpatenschaften zu übernehmen. Baumpaten erlernen den Baumschnitt, übernehmen die Pflege von registrierten und inventarisierten Obstbäumen ihrer Wahl und profitieren danach vom Recht, sie beernten zu dürfen.

„Es ist interessant zu erleben“, beobachtet Kister, „dass speziell zugezogene Städter an dieser Option Interesse zeigen.“ Gerade von Jüngeren und jungen Familien der Region wünscht sich Kister mehr Obstbaum-Engagement, damit „das Ganze in die Zukunft getragen wird“. Schieser regt an, die großen, stark mit Misteln befallenen Pappeln auf städtischem Grund, wie dem Gottersdorfer Seegraben, herauszunehmen. Das solle dazu verhelfen, den örtlichen Befallsdruck durch Misteln insgesamt zu senken.

Er findet: „Gottersdorf mit seiner Mosterei, Brennerei und Küferei Link ist eigentlich so etwas wie ein Apfeldorf. Es nutzen nämlich Obstbaumbesitzer von der ganzen Höh´ die hier angebotenen Möglichkeiten der Obstverwertung. Wenn wir aber nichts gegen den Ausbreitungsdruck der Misteln unternehmen, ist das Thema in nicht einmal mehr 20 Jahren komplett durch.“