ERC Starting Grant für Dr. Michael Sören Balzer

Mediziner aus Tauberbischofsheim an der Charité erfolgreich

Der aus Tauberbischofsheim stammende Privatdozent Dr. Michael Sören Balzer wurde als Forschungsgruppenleiter an der Berliner Charité mit dem „ERC Starting Grant“, eine der höchsten europäischen Förderungen für Nachwuchswissenschaftler, ausgezeichnet.

Von 
Sabine Holroyd
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Dr. Michael Sören Balzer (Mitte) bei einer Besprechung in der Charité. © Charité - Universitätsmedizin

Tauberbischofsheim. Der aus Tauberbischofsheim stammende Privatdozent Dr. Michael Sören Balzer wurde als Forschungsgruppenleiter an der Berliner Charité mit dem „ERC Starting Grant“, eine der höchsten europäischen Förderungen für Nachwuchswissenschaftler, ausgezeichnet. Der Europäische Wissenschaftsrat unterstützt Balzers Projekt mit dem Namen „SINGuLAR“ mit rund 1,5 Millionen Euro. Die Arbeit des 39-jährigen Oberarztes an der Medizinischen Klinik der „Charité“ mit Schwerpunkt Nephrologie und Internistische Intensivmedizin könnte zu einem besseren Verständnis der Nierenanpassung und -regeneration führen – was langfristig neue therapeutische Ansätze bei Nierenschädigungen ermöglichen könnte. Statt erkrankte Nieren zu untersuchen, erforscht der Nephrologe mit seinem Team die gesunde Anpassung der verbleibenden einzelnen Niere nach einer Organspende.

Mit modernsten Einzelzelltechnologien wird das Forschungsteam eine hochauflösende Karte der Genaktivität bei der Nierenanpassung erstellen und aufzeigen, wie diese Prozesse gesteuert werden, wie sie sich räumlich und zeitlich entfalten und ob sie sich therapeutisch nutzen lassen - beispielsweise um die Selbstheilung bei akuten Nierenschäden gezielt zu fördern. „Es geht mir darum, Grenzen zu verschieben, neue Erkenntnisse zu gewinnen und damit die Versorgung von Patienten nicht nur regional, sondern auch national und international langfristig zu verbessern“, sagte der junge Mediziner im FN-Interview.

Herr Dr. Balzer, Sie arbeiten an der Berliner Charité, einem der renommiertesten Forschungsstandorte Europas. Wann stand für Sie denn fest, dass Sie Arzt werden möchten – und wie gefällt es Ihnen an der Charité?

Michael Sören Balzer: Für mich stand schon gegen Ende der Schulzeit fest, dass ich Arzt werden möchte. Mich hat früh fasziniert, wie Medizin und Menschlichkeit zusammenwirken können. Neben der Wissenschaft war Musik damals meine große Leidenschaft – hier habe ich gelernt, auf Zwischentöne zu achten und komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Diese Haltung prägt bis heute auch meine Arbeit als Arzt und Forscher. An der Charité schätze ich die enorme fachliche Breite, die Dynamik zwischen Forschung und Klinik und das inspirierende Umfeld. Hier erlebt man täglich, wie neue Erkenntnisse entstehen und direkt den Patienten zugutekommen.

Wie gestaltete sich Ihr Weg vom MGG in TBB nach Berlin? Führte er immer geradeaus oder verlief er auch mal in Schlangenlinien?

Balzer: Obwohl das klassische Arztsein ja oft „von der Wiege bis zur Bahre“ gedacht wird, ist mir früh klargewesen, dass mich mein Weg in Klinik und Forschung führen würde. Mich hat schon immer die Idee fasziniert, Medizin nicht nur anzuwenden, sondern sie aktiv mitzugestalten. Ich möchte durch Forschung dazu beitragen, medizinische Leitlinien und Behandlungsstrategien weiterzuentwickeln. Es geht mir darum, Grenzen zu verschieben, neue Erkenntnisse zu gewinnen und damit die Versorgung von Patientinnen und Patienten nicht nur regional, sondern auch national und international langfristig zu verbessern.

Schon im Studium habe ich mich für die Innere Medizin und besonders für die Nierenheilkunde begeistert. Das Medizinstudium hat mich an verschiedene Universitäten im In- und Ausland geführt, was meinen Blick auf die Medizin sehr geprägt hat. Danach habe ich meine Facharztausbildung gemacht und bin für drei Jahre an die University of Pennsylvania gegangen – eine unglaublich prägende Zeit in einem internationalen Spitzenumfeld. Dort konnte ich meine Forschungsschwerpunkte vertiefen und neue Ideen entwickeln. Anschließend bin ich nach Deutschland zurückgekehrt, wo ich meine eigene Arbeitsgruppe aufgebaut habe.

Es war kein gerader Weg im Sinne von „ohne Umwege“, aber einer mit einer klaren Richtung.

Was waren Sie denn für ein Schüler – eher ruhig oder eher aufgeweckt? Und was waren Ihre Lieblingsfächer? :o)

Balzer: Ich bin in einem sehr humanistisch und musikalisch geprägten Elternhaus aufgewachsen. Das Cello war ein ganz wesentlicher Teil meiner Jugend – ich habe viele Jahre intensiv gespielt, geübt, Konzerte gegeben und auch überlegt, ob ich die Musik vielleicht sogar beruflich machen möchte.

Fächer wie Biologie und Naturwissenschaften fand ich zwar spannend, aber sie standen anfangs gar nicht so im Mittelpunkt. Ich war ein neugieriger Schüler, der sich für vieles interessiert hat – Sprachen, Musik, Geschichte. Erst später hat sich herauskristallisiert, dass die Medizin für mich der richtige Weg ist. Rückblickend war die Musik wahrscheinlich eine gute Vorbereitung: Sie hat mir Geduld, Präzision und Ausdruckskraft beigebracht – Dinge, die in der Medizin ebenfalls eine große Rolle spielen.

Gab es eine Art Schlüsselerlebnis, das Sie auf das Thema Nierenerkrankungen aufmerksam gemacht hat?

Balzer: Die Niere ist ein faszinierendes Organ. Sie erfüllt eine Vielzahl lebenswichtiger Funktionen, und das meiste davon geschieht völlig unbemerkt – selbst dann, wenn die Niere bereits stark geschädigt ist. Diese Komplexität hat mich von Anfang an im Studium fasziniert. Ein echtes Schlüsselerlebnis war schließlich die herausragende, praxisorientierte Ausbildung während meines Praktischen Jahres in Vancouver, Kanada. Die Art und Weise, wie dort klinisches Denken, wissenschaftliche Neugier und patientennahe Medizin miteinander verbunden wurden, haben mein Interesse an der Nierenheilkunde entscheidend geprägt und meine Begeisterung für dieses Fachgebiet geweckt.

Sie haben nun mit Ihrem Forschungsteam den Förderpreis des Europäischen Wissenschaftsrates in Höhe von 1,5 Millionen Euro gewonnen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Balzer: Diese Förderung ist für mein Team und mich eine große Ehre – und zugleich eine entscheidende Grundlage, um unsere Forschung langfristig und auf internationalem Niveau voranzutreiben. Ich bin sehr dankbar für das Vertrauen, das uns mit dieser EU-Förderung entgegengebracht wird. Sie gibt uns die Möglichkeit, neue, bislang unerforschte Wege in der Nierenforschung zu gehen.

Thematisch geht es um die Selbstheilungskräfte der Niere – ein faszinierendes, aber noch wenig verstandenes Gebiet. Im Mittelpunkt stehen Nierenlebendspender, deren verbleibende Niere die Funktion des entfernten Organs vom einen auf den anderen Tag vollständig übernehmen muss. Diese besondere Situation erlaubt uns, direkt am Menschen zu beobachten, wie sich die Niere an eine veränderte Belastung anpasst. Wir hoffen, daraus Mechanismen abzuleiten, die künftig auch Patienten zugutekommen können, deren Nierenfunktion durch Erkrankungen eingeschränkt ist – also Menschen, die bislang in der Forschung oft unterrepräsentiert sind.

Darüber hinaus hat das Projekt auch eine gesellschaftliche Dimension: Wenn unsere Arbeit dazu beiträgt, das Bewusstsein für die Bedeutung von Organspende und für den Wert jedes gesunden Organs zu stärken, wäre das ein wichtiger zusätzlicher Erfolg.

Im Mittelpunkt Ihres Projekts, das sich den Selbstheilungskräften der Niere widmet, steht die einzelne verbleibende Niere nach einer Organspende. Was haben Sie denn schon herausgefunden? Und was finden Sie besonders spannend daran?

Balzer: Wir stehen noch ganz am Anfang. Schon seit über hundert Jahren weiß man, dass sich nach der Entfernung einer Niere die verbleibende Niere vergrößert – eine Reaktion auf die plötzlich gestiegenen Anforderungen. Doch die genauen zellulären und molekularen Prozesse dahinter blieben bisher weitestgehend unklar, weil es schlicht an technischen Möglichkeiten fehlte, dies zu erforschen. Moderne Einzelzelltechnologien erlauben uns aber, die Vorgänge in den verschiedenen Zelltypen der Niere präzise zu analysieren. Das ist eine echte Revolution in der biomedizinischen Forschung. Diese neuen Methoden eröffnen uns völlig neue Perspektiven darauf, wie sich Organe anpassen und gegebenenfalls sogar regenerieren können.

Welche Chancen für die Behandlung erkrankter Nieren sehen Sie? Wie könnte eine Therapie in etwa zehn Jahren ablaufen?

Balzer: Die häufigsten Ursachen für Nierenerkrankungen sind Diabetes und Autoimmunprozesse. Heute gibt es bereits Therapien, die den Blutzucker besser regulieren oder das Immunsystem gezielt unterdrücken. Aber: Einmal eingetretene Schäden an den Nieren, von denen wir zwei haben, sind meist irreversibel. Genau hier setzt unser Projekt an. Wir wollen verstehen, wie die Natur es schafft, die Nierenfunktion nach dem Verlust einer Niere zu regenerieren. Wenn wir diese Mechanismen entschlüsseln, könnten wir sie in Zukunft therapeutisch aktivieren oder nachahmen. Das wäre ein völlig neuer Ansatz in der Behandlung akuter und chronischer Nierenerkrankungen.

Welche Rolle spielt die KI bei Ihren Forschungen?

Balzer: Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen spielen eine immer größere Rolle. Die Datenmengen, die wir in unseren Analysen generieren, sind enorm. Man kann sich vorstellen, dass pro Experiment in einer einzigen Zelle etwa 20.000 bis 30.000 Gene erfasst werden. Wenn Sie das gleichzeitig bei zehntausenden Nierenzellen eines einzigen Patienten tun und dann noch für mehrere Patienten wiederholen, entsteht eine Komplexität, die sich ohne KI kaum effizient auswerten lässt. KI hilft uns, Muster zu erkennen, Zusammenhänge zu verstehen und Hypothesen zu generieren, die wir dann im Labor überprüfen können. Sie ist damit zu einem unverzichtbaren Werkzeug in der modernen biomedizinischen Forschung geworden.

Was kann man selbst tun, um seine Nieren möglichst lange gesund zu erhalten?

Balzer: Das Wichtigste ist eigentlich ganz simpel: trinken, trinken, trinken. Außerdem sollte man regelmäßig seinen Blutdruck kontrollieren und auch mal ohne konkreten Anlass einen Hausarzttermin wahrnehmen.

Viele Nierenerkrankungen bleiben lange unentdeckt, weil die Betroffenen nichts davon merken – die Nieren tun nicht weh, selbst wenn sie schon deutlich eingeschränkt sind, anders etwa als beim Herzinfarkt. Früher wurden manche dieser Nierenerkrankungen zufällig bei Reihenuntersuchungen (etwa der Musterung) entdeckt - solche Gelegenheiten gibt es heute kaum noch. Umso wichtiger ist es, selbst aufmerksam zu sein und die eigene Nierengesundheit regelmäßig im Blick zu behalten.

Neben der Nephrologie bildet die Internistische Intensivmedizin einen weiteren Schwerpunkt Ihrer Arbeit. Haben Sie überhaupt noch Zeit, Berlin auch mal zu genießen? Welches ist denn Ihr „Lieblingskiez“?

Balzer: Ich empfinde meinen Beruf als Berufung. Natürlich ist die Arbeit intensiv, aber ich schöpfe viel Energie aus meiner Familie – sie ist für mich der wichtigste Ausgleich. Außerdem ist Berlin viel grüner als viele denken, vor allem in der Peripherie. Dort finde ich Ruhe in der Natur. Das ist für mich der beste Ort, um abzuschalten und neue Energie zu tanken.

Und wo befindet sich Ihr absoluter Lieblingsplatz in Tauberbischofsheim?

Balzer: Ich erinnere mich sehr gerne an das Altstadtfest und an das Eiscafé am Sonnenplatz. Diese Orte sind für mich eng mit meiner Jugend verbunden und wecken schöne Erinnerungen. Tatsächlich feiern wir in diesem Jahr unser 20. Abiturjubiläum. Ich freue mich darauf, viele ehemalige Mitschüler wiederzutreffen und gemeinsam auf die Schulzeit zurückzublicken. Es wird sicher ein interessantes und schönes Wiedersehen.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Tauberbischofsheim

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