Tauberbischofsheim. Deutschland hat weltweit eines der besten Gesundheitssysteme. Das hat die Corona-Pandemie deutlich gemacht. „Die Zukunft einer verlässlichen und guten Versorgung in den Bereichen Gesundheit und Pflege ist jedoch nicht garantiert. Hier besteht Handlungsbedarf.“ So lautete das gemeinsame Fazit eines Gesprächs, das Michaela Lierheimer, Geschäftsführerin der AOK Heilbronn-Franken, Rolf Blaettner, alternierender Vorsitzender des AOK Bezirksrats, und der stellvertretende Landtagspräsident, Professor Dr. Wolfgang Reinhart, miteinander führten.
Aktuell die größte Herausforderung für die Gesetzliche Krankenversicherung ist das strukturelle Defizit der Kassen. Bereits in diesem Jahr muss der Bund 28,5 Milliarden Euro zuschießen. Im kommenden Jahr wird wieder eine Deckungslücke von geschätzt 17,5 Milliarden Euro erwartet.
„Krankenkassen sollten ihre Unabhängigkeit wahren, sich weitgehend aus eigener Kraft finanzieren können und nicht von den Finanzspritzen des Gesetzgebers abhängig sein“, stellte Michaela Lierheimer klar, „denn sonst könnte eine bestmögliche Gesundheitsversorgung durch eine Versorgung nach Kassenlage abgelöst werden.“
Belastung darf nicht steigen
Andererseits aber dürfe die Belastung für die Beitragszahler sowohl auf Versicherten- als auch auf Arbeitgeberseite nicht überstrapaziert werden, ergänzte Wolfgang Reinhart. „Die Deckelung der Sozialabgaben auf 40 Prozent sollte erhalten bleiben, ansonsten werden die Arbeits- und Produktionskosten am Standort Deutschland zu hoch.“ Dem pflichtete Rolf Blaettner bei, der im Selbstverwaltungsgremium der AOK die Anliegen der Arbeitgeber vertritt.
Einig waren sich die Gesprächspartner, dass für eine zukunftsfeste Finanzierung alle relevanten Akteure des Gesundheitssystems einen Beitrag leisten müssen. Dazu zählt etwa der Krankenhausbereich, der mit knapp 33 Prozent der größte Ausgabenposten der Gesetzlichen Krankenversicherung ist. „Wir haben immer noch zu viele kleine Krankenhäuser, insbesondere auch in Baden-Württemberg. Größere Krankenhäuser sind leistungsfähiger und bieten mehr Qualität. Deshalb brauchen wir eine Reform der Krankenhausplanung, die eine wohnortnahe Basisversorgung sichert, zugleich aber eine Zentralisierung und Spitzenmedizin an größeren Standorten ermöglicht“, erklärte die AOK-Geschäftsführerin.
Zustimmung fand die Feststellung, dass im Main-Tauber-Kreis aktuell kein Haus in Frage gestellt ist. „Wir haben hier unsere Hausaufgaben gemacht und schon vor geraumer Zeit die richtigen Entscheidungen getroffen und eine leistungsfähige Krankenhausversorgung geschaffen“, unterstrich Wolfgang Reinhart. „Schmerzhafte Diskussionen um die Schließung von Klinik-Standorten, wie sie derzeit in anderen Landesteilen geführt werden, müssen wir hier nicht führen,“ betonte der Landtagsabgeordnete.
Das Sparpotential der Pharmabranche, mit knapp 18 Prozent der drittgrößte Kostenbereich der Krankenkassen, war ein weiteres Thema. Die von den Krankenkassen geforderte Begrenzung der Arzneimittelpreise, die Absenkung der Mehrwertsteuer für Medikamente oder die Wiedereinführung eines Herstellerrabatts von 16 Prozent wurden erörtert.
„Solche Regelungen sollten aber nicht das Ziel in Frage stellen, die Produktion von Arzneimitteln wieder nach Europa zu holen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig das ist“, erinnerte der ehemalige Europaminister.
Defizit der Pflegeversicherung
Besprochen wurden außerdem der ambulante Bereich und die Pflegeversicherung. Letztere kämpft inzwischen auch mit einem Defizit. Dieses sei aber nicht das größte Problem. Entscheidend sei, dass auch in Zukunft eine würdige und angemessene Pflege der betroffenen älteren Menschen gesichert ist. Gleiches gilt für die Versorgung mit Haus- und Fachärzten. „37 Prozent der Allgemeinmediziner im Lande sind über 60 Jahre alt und gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand“, erläuterte Michaela Lierheimer. „Wir müssen dieser Herausforderung flexibel begegnen und verschiedene Lösungsansätze nutzen“, so Reinhart. Und weiter: „Das Landarzt-Stipendium, für das ich in der vergangenen Legislaturperiode erfolgreich gekämpft habe, gehört dazu.“ aok
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