Lauda-Königshofen. Angeregt durch eine Studienreise nach Israel in den Herbstferien 2022, im Rahmen des Masterstudiums „Schulmanagement & Leadership“, hatten Claudia Heidrich und Bernd-Henning Meichelböck die Idee für einen Themenabend „Israel“ am Martin-Schleyer-Gymnasium Lauda. In Zusammenarbeit mit den Kolleginnen Sabine Ultes und Andrea Decker-Heuer und dem ehemaligen Leiter der „Schule für Musik und Tanz“ Edgar Tempel wurde ein abwechslungsreiches Programm für den Abend in der Aula der Schule zusammengestellt. Neben mehreren Vorträgen über die Studienreise nach Israel (Heidrich, Meichelböck) und zum Thema Judentum des letztjährigen Seminarkurses (Decker-Heuer/3 Schülerinnen), spielte die Musik an diesem Abend eine große Rolle.
Der Titel des MSG, „Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage“, sei kein Zertifikat für erbrachte Leistungen, so Meichelböck in seiner Begrüßung, stellvertretend für den Schulleiter Dr. Gernert. Vielmehr resultiere daraus eine Selbstverpflichtung, immer wieder entsprechende, auch schwierige Themen anzusprechen und so zur Überwindung von Diskriminierung und Rassismus, schon in der Schule, beizutragen. Israel und damit verbunden Antisemitismus und Holocaust gehören ganz gewiss zu diesen schwierigen Themen. Sie waren auch auf der Studienreise von Heidrich und Meichelböck im Fokus, etwa in Yad Vashem (Jerusalem), der Gedenkstätte für alle Juden, die im Holocaust ermordet wurden.
Aber nicht nur dort. Selbst das Schulsystem beziehungsweise die Bildungsinhalte sind durch diese Geschichte, das besondere Sicherheitsbedürfnis Israels geprägt. Laut Meichelböck gibt es zum Beispiel ein Schulfach Medizin, das auf konkrete Situationen im für alle verpflichtenden Militärdienst bezogen ist.
Darüber hinaus erhielten Meichelböck und Heidrich in verschiedenen Schulen in Israel interessante Einblicke in ein Schulsystem, das stark durch amerikanische Einflüsse geprägt ist und zugleich viele Spezifika aufweist. Einer zum Teil sehr modernen Innenausstattung stand beispielsweise in der Jungenschule von Meichelböck die Verpflichtung gegenüber, eine Kippa zu tragen.
In der 1925 ursprünglich als Berufsschule für Mädchen gegründeten „Amit High School Ashkelon“ in der Nähe des Gazastreifens, die Heidrich besuchen durfte, für Schüler aus sozial schwachen Familien, war oft praktisches Lernen angesagt und Bunker auf dem Schulgelände waren eine Selbstverständlichkeit. Im Vergleich zum deutschen Schulsystem zeigt sich eine höhere Agilität, Digitalisierung und Risikobereitschaft, vielleicht Ursache für die hohe Zahl von Start-ups in Israel.
Problematisch ist aber vor allem, dass Israel für seine Politik gegenüber den arabischen Israelis und den Palästinensern heftig und in einer Form kritisiert wird, die als subtile Form des Antisemitismus gesehen werden kann, insofern die Kritik mit antisemitischen Vorurteilen aufgeladen ist und das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird, statt das einzelne Handlungen der Regierung kritisiert werden.
Mit verschiedenen Formen von Antisemitismus und effektiven Bekämpfungsstrategien, andererseits der mangelnden Bereitschaft in der jungen Bundesrepublik, sich der Vergangenheit zu stellen, beschäftigten sich drei Schülerinnen des letztjährigen Seminarkurses von Decker-Heuer und stellten ihre Ergebnisse in sehr gelungenen Kurzvorträgen vor. Maren Kern sprach über einen bedeutenden Teil der juristischen Aufarbeitung des Holocaust beziehungsweise der Shoah in der Bundesrepublik, den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965, der wohl ohne die Hartnäckigkeit des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer nicht zustande gekommen wäre.
„Gerichtstag halten über uns selbst“, das große Anliegen Bauers, sei in der deutschen Nachkriegsgesellschaft nicht gewünscht gewesen. Auch wenn am Ende viel zu milde Urteile für die Angeklagten gefällt wurden, hatte der Prozess in der Folgezeit dennoch viele wichtige Anstöße gegeben, etwa hinsichtlich der Frage der Verjährung bei Mord. Allerdings sei erst im Jahr 2016 die Rechtsprechung dahingehend geändert worden, dass jetzt auch „Auschwitz-Handlanger“ rechtmäßig verurteilt werden können.
Melina Hellhorn nahm den Judenhass im digitalen Zeitalter in den Blick, die Rolle des Internet, die durch Statistiken eindeutig belegbar ist, bei der Verbreitung, gar dem Aufschwung von Antisemitismus. Anonymität, Distanz, freie Zugänglichkeit, Schnelligkeit und Unkontrollierbarkeit trotz inzwischen vorhandenem Netzwerkdurchsetzungsgesetz seien nur einige Begriffe, die als fördernde Faktoren des Antisemitismus im Internet, speziell auch in den sozialen Medien, anzusprechen wären.
Das Problem der digitalen Vernetzung zeigte sich etwa bei einer hessischen Polizei-WhatsApp-Gruppe, die rassistische und antisemitische Inhalte im Chat ausgetauscht hatte. Das Attentat von Halle, der versuchte Massenmord an Juden in einer Synagoge (Jom Kippur 2019) könne als Beispiel dafür angeführt werden, dass hasserfüllten Worten oft auch Taten folgen.
Ganz aktuell und wichtig war dann auch der Kurzvortrag von Antonia Feuerstein zum Thema „Bekämpfungsstrategien des modernen Antisemitismus“. Anhand von Kategorien, die in der Kriminalistik verwendet werden – Phänomenologie, Ätiologie, Strategie – führte sie einige interessante Fakten an. So belegen etwa Untersuchungen, dass bei 20 Prozent der Deutschen eine latent antisemitische Denkweise vorhanden sei (Phänomenologie). Bei der Suche nach den Ursachen (Ätiologie) zeige sich, dass die verschiedenen Antisemitismen (religiös, sozial, politisch, rassistisch, sekundär, antizionistisch) meist in Mischformen auftreten. Hier kämen dann noch die verschiedenen persönlichen Beweggründe hinzu. Im Bereich der Strategie - der primären, sekundären und tertiären Prävention - seien Schule und Gesellschaft, noch vor staatlichen Institutionen, vor allem bei der primären Prävention (Aufklärung, Schulung, Ausstellungen, Internet, Meet a Jew, Museen) gefordert, aber auch bei der sekundären Prävention könne der Einzelne durch Zivilcourage Straftaten verhindern.
Angesichts dieser teils sehr schwierigen Themen brachte die Musik des Themenabends Israel eine willkommene Leichtigkeit. Als Trio zeigten drei Schüler aus der Celloklasse von Hr. Tempel, Ida Fischer, Kristian Koppanyi, Jule Reichert, ihr großes Können und setzten mit der einleitenden Gavotte aus der Suite für drei Violoncelli von Julius Klengel (op. 99) zwar gleich schon einen getragenen Grundton, der aber später mit den beiden Stücken „Karussell“ und „Walzer“ aus der Salonmusik für drei Celli von Johanna Varner deutlich aufgehellt wurde. Die Chorellos, die Gesangsklasse und der Mittel- und Oberstufenchor mit ihrer Auswahl hebräischer Lieder, etwa Kol dodi, Dreidl-Song, Hava Nagila, boten demgegenüber gewissermaßen „leichtere Kost“. Die sichtbare und hörbare Freude der Jugendlichen beim Singen der Texte und teils bekannten, beschwingten Melodien übertrug sich sofort aufs Publikum. Damit wurde das jiddische Lied „Schpilsche mir a Lidele“ direkt umgesetzt. Mit Herz und mit Gefühl zeigte hier Stephan Deppisch auf seiner Klarinette, solistisch und als Begleitung, sein herausragendes Können. Ohne Licht und Ton wäre aber alles nichts gewesen und so gilt es abschließend allen, aber ganz besonders auch den „Technikern“ Sebastian Häußner, Benedikt und Leonard Schulz zu danken für einen sehr interessanten, hoffentlich lange nachklingenden Abend am Martin-Schleyer-Gymnasium.