Igersheim. Etwas zerstreuter Blick über die Ränder der Hornbrille, das Haar leicht zerzaust, die abgewetzte Ledermappe unterm Arm geklemmt – mit diesem veralteten Klischee eines Professors räumt der lebhafte junge Mann auf. Sympathisches, spitzbübisches Lächeln, offener Blick, unkompliziert, locker – er könnte der netten Nachbarn von nebenan sein oder der super Kumpel, mit dem man sich gern auf ein Feierabendbierchen trifft. Und doch: Florian Kleefeldt – Professor mit gerade mal 34 Jahren – hat bereits eine Karriere hingelegt, von der die meisten ein Leben lang nur träumen können. Nach seiner Doktorarbeit trat er dem Forscherteam von Professor Dr. Süleyman Ergün am Institut für Anatomie und Zellbiologie der Uni Würzburg bei. Mit seinem Vortrag, „Herz unter Druck – wie Medizin Leben rettet“ spricht er bei den Zuhörern voll besetzten Erlenbachhalle ein „Herzensthema“ an. Laut Umfragen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall die am zweithäufigsten gefürchteten Erkrankungen nach Krebs.
Wissenschaftler blickt Stück weit in die Zukunft
„Ich möchte Ihnen einen Blick ermöglichen auf das, was wir in der Forschung machen – vielleicht auch eine Antwort geben auf die ungeduldige Frage: ,Warum dauert das denn so lange, bis die Tabletten endlich zur Verfügung stehen?‘ Außerdem werde ich mit Ihnen ein Stück weit in die Zukunft schauen, auf das, was wir erwarten können“, wendet sich Kleefeldt an sein Publikum. „Wir verfügen heute über tolle Medikamente, die Wirkung zeigen.“ So seien in den vergangenen 70 Jahren tödlich verlaufende Herz-Kreislauf-Erkrankungen um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Doch damit könne man sich nicht zufriedengeben, denn noch immer stünden sie in der Statistik der zum Tode führenden Krankheiten an erster Stelle, allen voran die Atherosklerose, umgangssprachlich als Gefäßverkalkung bezeichnet – einem Spezialgebiet, an dem der junge Wissenschaftler mit seinem Forschungsteam arbeitet.
Das Bild, das der Beamer auf die Leinwand wirft, schreckt auf. Was ist das? Ein Stück eines dick verkrusteten, schmuddeligen, undurchlässigen Wasserrohrs? „So sehen im schlimmsten Fall verkalkte Arterien aus“, erklärt Professor Dr. Kleefeldt. Was tun, wenn die „Spritleitung“ chronisch verschlossen ist? „Bei ausgeprägten Ablagerungen hilft oft nur eine Operation oder, wenn noch möglich, die Erweiterung mit einem Katheter und das Einsetzen eines ,Stent‘, eines kleinen Metallgeflechts, das einen erneuten Verschluss des Gefäßes verhindert.“ Große Krankheiten beginnen ganz klein. „Das Verstopfen von Arterien ist ein langsamer Prozess, der mit Schädigungen der innersten Gefäßwand anfängt“, so der Professor. „Ursachen hierfür sind Risikofaktoren wie Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte, Rauchen und Diabetes. Auch die genetische Veranlagung spielt eine Rolle. An den betroffenen Stellen lagern sich Fette und andere Substanzen ab, die im Laufe der Zeit wachsen, sich verhärten und ,Plaques‘ bilden, die zu einer Verengung der Arterie führen.“ Bei der „Koronaren Herzkrankheit“ werde der Herzmuskel nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Betroffene spürten bei körperlichen Belastungen typische Beschwerden wie Kurzatmigkeit und Schmerzen in der Brust. Unbehandelt bestünde das hohe Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls. Doch soweit müsse es nicht kommen, wenn rechtzeitig „gegengesteuert“ werde. Dies geschehe in der Regel mit einer medikamentösen Behandlung. Auch die Umstellung auf einen gesünderen Lebensstil könne einiges bewirken.
„Ein Herz kann man nicht reparieren“, sang Udo Lindenberg bereits in den 90er Jahren und ahnte nicht, was die Wissenschaft eines Tages möglich machen könnte. Was tut man, wenn man sich verletzt hat? Klar, Pflaster drauf! Darunter bildet sich neue Haut. Ähnlich funktioniere die Sache mit dem „Herzpflaster“, erläutert Professor Dr. Kleefeldt die Methode. Zwar, und da hat Udo Lindenberg recht, kann sich das Herz nicht selbst regenerieren. Aber die Forscher haben einen gentechnischen Trick drauf, der sich derzeit noch in der Studienphase befindet. Das Herzpflaster besteht aus Zellen, die im Labor gezüchtet werden, aus speziellen Stammzellen. „Sie kommen nicht aus dem Körper“, so der Professor, sondern werden im Labor hergestellt. Dazu werden körpereigene Zellen umprogrammiert, so dass man daraus Herzmuskelzellen gewinnen kann.“ Inzwischen können im Labor sehr kleine Organe kultiviert werden. Diese ,Mini-Herzen’ besitzen vier Herzkammern und tun bereits das, was Herzen eigentlich tun sollen: Sie schlagen. Doch damit tritt ein erstes Problem auf: Durch ihren eigenen Rhythmus könnten sie den Herzmuskel aus dem Takt bringen. Gedacht sei jedoch, dass das künstliche Herzmuskelgewebe mit dem Herzen zusammenwachse und sich dessen Rhythmus anpasse. „Pflaster drauf“ – so einfach ist es nicht. Trotzdem dürfte den Zuhörern klar werden, welche wissenschaftliche Sensation ihnen hier gerade vorstellt wird. Was bisher Science-Fiction schien, könnte wahr werden: Das Reparieren kranker Organe mit künstlich hergestelltem Gewebe.
Beeindruckende Leistung des menschlichen Herzens
Beeindruckend ist die Leistung des menschlichen Herzens. Tag für Tag pumpt es bis zu 10.000 Liter Blut durch Gefäße. Dabei kommt es auf 100.000 Schläge pro Tag - ohne Pause. „Grund genug“, so erklärt der Moderator des Abends, Josef Gabel, „sorgsam mit der kleinen Pumpe umzugehen, von der sämtliche Funktionen des Körpers abhängen.“ Wenn das alte Herz schlapp macht, sich einfach ein neues drucken – das könnte eines Tages tatsächlich möglich sein, sei aber Zukunftsmusik erklärt Professor Dr. Kleefeldt. Schon klar, mit dem Tintenspritzer daheim funktioniert es nicht. „Bioprinting“ ist ein spezielles 3D-Druckverfahren, bei dem lebende Zellen mit Hilfsstoffen zu größeren Gewebestrukturen „gedruckt“ werden. Mit einem Video-Clip erläutert der Professor, wie „Biotinten“ als winzige Tröpfchen über mehrere Druckköpfe schichtweise auf ein Substrat aufgetragen werden. „Auch wenn 3D-gedruckte Organteile wie Haut oder Knorpel teilweise schon erfolgreich eingesetzt werden, reichen die derzeit zur Verfügung stehenden Materialien und Methoden noch bei weitem nicht aus. Wenn eine erste Gefäßwand gedruckt werden kann, die dann vielleicht überlebt“, so Professor Dr. Kleefeldt, „wäre das schon ein großer Erfolg.“ Hinzu komme, dass das „frisch gedruckte“ Organ seinen Tauglichkeitstest im Organismus bestehen müsse. bestehen müsse.
„Die Therapie nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall kommt für den Patienten häufig zu spät. Wir wollen früher ansetzen“, erklärt der Professor. „Wir in Würzburg haben herausgefunden, dass im alternden Gefäßsystem Proteine eine besondere Rolle spielen. Bereits in seiner Doktorarbeit hat der Mediziner dargelegt, dass CEACAM1 – dieses winzige Etwas - eine nicht unerhebliche Rolle beim Alterungsprozess der Gefäße zu spielen scheint und möglicherweise auch bei der Verbreitung von Krebszellen. Mehrfach wurde Professor Dr. Kleefeldt für seine Forschung ausgezeichnet. „Forschungsarbeit ist immer Teamarbeit“, beendet er seinen Vortrag. „Deshalb ist mein Erfolg gleichzeitig der des gesamten Forschungsteams, so wie wir auch Enttäuschungen und Rückschläge miteinander tragen und verkraften müssen.“
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