In die Geschichte geblickt

Professor Dr. Hellbrück wollte Zuhörer nicht belehren

Vortrag „Mensch, Natur, Klima – eine Beziehungsgeschichte in sechseinhalb Kapiteln“

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hpw
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Freudenberg. Der Vortrag „Mensch, Natur, Klima – eine Beziehungsgeschichte in sechseinhalb Kapiteln“ lockte am Donnerstagabend fast sechs Dutzend Menschen in den Sitzungssaal des Rathauses in Freudenberg. Professor Dr. Jürgen Hellbrück referierte.

Caroline Becker begrüßte seitens des Veranstalters „Stadt Freudenberg“. Sie stellte Hellbrück, der Kindheit und Jugend in Freudenberg verbracht hat, und dessen Vita vor. Der Professor, der sich als Umweltpsychologe mit der Wechselwirkung „Umwelt – Mensch“ beschäftigt, sagte, er wolle Geschichten erzählen, auf keinen Fall belehren.

Die Erfindung der Natur, so der Referent, beginne im Regenwald in Ecuador anno 1802. Zwei Männer zeichnen, malen und beschreiben, messen mit modernsten Apparaturen. Auf dem Chimborazo beobachten sie Bodenbeschaffenheit, Vegetation, Tierwelt.

Alexander von Humboldt, vom Vortragenden „der Titan unter den Wissenschaftlern und der Superstar seiner Zeit“ genannt, findet dort oben zu seiner Vision „alles hängt zusammen“. Zurück in Berlin schreibt er viele Bände über die große Theorie vom Zusammenhang in der Natur.

Der Mensch hatte damals ein zwiespältiges Verständnis der Natur besessen, schwebend zwischen Angst und Hochmut. Im 18. Jahrhundert habe Isaac Newton das Gesetz der Schwerkraft entdeckt, man habe sogar einen Planeten gefunden allein auf Grund dieses Gesetzes und der Mathematik, also der Kraft des menschlichen Geistes.

Manche hätten gedacht, vor der Natur brauche man keine Angst zu haben, sagte Hellbrück, diese sei verstanden und gezähmt. Doch die Wissenschaftler verstanden nicht alles. Beim „Sommer, der ein Winter war“, hatte der Tambora in Indonesien 140 Milliarden Tonnen Material über 40 Kilometer hoch in die Stratosphäre geschleudert, Staub und Asche sorgten für Temperaturstürze und Missernten. Es gab keinen Hafer für die Pferde, jedoch regten Katastrophen und Not den menschlichen Geist an, machten erfinderisch. Auch die Kunst sei beschwingt worden wie durch die spektakulären Sonnenun-tergänge des Jahres ohne Sommer.

Hellbrück ging auf die „Früchte des Zorns“ ein, als der Westen Amerikas erschlossen worden war. Man hatte die indigene Bevölkerung vertrieben, die Prärien zu Getreidekammern umgepflügt, es gab Goldgräberstimmung, jedoch auch Exzesse dort, wo Getreide zu Geld gemacht wurde. Riesige Staubwolken rasten über das Land. Denn in den Prärien sei das tiefwurzelnde Büffelgras durch den flachwurzelnden Weizen ersetzt worden, der den Boden nicht halten konnte.

Die Farmer in Oklahoma verloren Häuser und Höfe an die Banken, bei denen ihre Kredite und Hypotheken liefen. Die Oakies, wie man sie nannte, zogen nach Kalifornien, auf dem Weg zum Paradies hieß es, „die nehmen uns Arbeit und Land weg“. Nach zehn Jahren sei der Spuk vorüber gewesen.

Der Referent stellte mit Edward N. Lorenz den Mann vor, der über den Schmetterlingseffekt geschrie-ben hatte. Danach sei nicht vorhersehbar, wie sich kleine Änderungen der Anfangsbedingungen eines dynamischen Systems langfristig auf die Entwicklung des Systems auswirken. Wenn Kipppunkte überschritten würden, gebe es kein Halten mehr.

Hellbrück beschrieb Wetter und Klima als Systeme. Wichtig sei, ob sich das Klima nahe der Instabilität befinde. Dies wisse er nicht, Klimaforscher sagten, dass das System so sei. Dann könnten kleine Ursachen große Folgen haben. Da müsse man sich auf Überraschungen gefasst machen „und die können früher kommen als wir denken“.

Das menschliche Denken sei mit Nichtlinearität und Systemveränderungen nicht vertraut, so der Fachmann. Bei dynamischen komplexen Systemen wie Wetter und Klima seien Folgen nicht vorhersehbar, also chaotisch. Es entstehe Neues, „wir werden überrascht“. Nichts könne existieren ohne Ordnung, nichts könne entstehen ohne Chaos.

Wenn man dauerhafte Verhaltensänderungen anstrebe, so der Vortragende, dürfe man keinen Druck ausüben, sondern müsse auf freiwillige Selbstverpflichtung setzen, der Druck müsse von innen kommen. Er hinterfragte, ob man sich Sorgen um die Zukunft machen müsse („definitiv Ja“) und ob man verzweifeln müsse („definitiv Nein“). In Katastrophen, also im Angesicht der Not, hätten Menschen ei-nen ungeheuren Lebenswillen bewiesen, Aktivität und Solidarität, Empathie und Kooperation.

Ohne diese Fähigkeiten hätte der Mensch nie diesen evolutionären Erfolg gehabt, folgerte Hellbrück. Er wisse nicht, was am Ende des Liedes „This world is your world, this world is my world“ stehe. Indes bedeute das Ende vom Lied nicht das Ende der Welt. Das letzte halbe Kapitel des Vortrags blieb offen wie die aktuelle Klimakrise. Der Referent dankte für die Aufmerksamkeit und erhielt gebührenden Beifall. hpw