Bad Mergentheim/Main-Tauber-Kreis. Seit nunmehr fast zwei Jahren laufen umfangreiche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Mitarbeiter des Caritas-Krankenhauses Bad Mergentheim sowie des Krankenhauses Tauberbischofsheim. Unter den Beschuldigten befinden sich auch Personen in leitender Position. Die Ermittler gehen dem Verdacht des gemeinschaftlichen Abrechnungsbetruges nach. Im Raum steht, dass in erheblichem Umfang medizinische Leistungen gegenüber gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet worden sein sollen, ohne dass die dafür vorgeschriebenen personellen und strukturellen Voraussetzungen tatsächlich vorgelegen haben. Besonders betroffen sind nach Angaben der Ermittlungsbehörden die Bereiche Intensivmedizin, Notfallversorgung, Geriatrie und Neurologie.
Fall sorgt seit Dezember 2023 für großes Aufsehen
Der Fall hat im Dezember 2023 in der Region Tauber-Odenwald für großes Aufsehen gesorgt: Nach einem richterlichen Beschluss durchsuchten Beamte des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart am 14. Dezember 2023 sowohl die Räumlichkeiten der betroffenen Kliniken als auch die privaten Wohnungen zweier Führungskräfte. Dabei wurden nach Informationen aus Ermittlerkreisen umfangreiche Beweismittel sichergestellt, darunter elektronische Datenträger und medizinische Dokumentationen. Diese sind genau unter die Lupe genommen worden. Über die Ergebnisse dieser Auswertungen ist bislang noch nichts bekannt geworden.
„Bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart werden die Ermittlungen wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges geführt, die aber weiterhin andauern“, erklärte die Pressesprecherin der Behörde, Erste Staatsanwältin Stefanie Ruben, auf Anfrage dieser Zeitung. „Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass dieser Komplex von der Staatsanwaltschaft Stuttgart als Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen gemäß Paragraf 74c Gerichtsverfassungsgesetz bearbeitet wird.“ Damit ist klar: Der Fall liegt bei einer spezialisierten Abteilung, die auf komplexe Wirtschaftsstrafverfahren ausgerichtet ist – und die Ermittlungen dürften dementsprechend zeitintensiv bleiben.
Während das strafrechtliche Verfahren noch läuft und sich nach Einschätzung von Beobachtern möglicherweise noch einige Zeit hinziehen könnte, scheint es dennoch in der Zwischenzeit bereits erste Entwicklungen zu geben. Nach Informationen dieser Zeitung hat ein Jurist vom Unternehmensbereich Compliance & Recht der AOK Baden-Württemberg, Geschäftsbereich Fehlverhalten im Gesundheitswesen, mit dem Caritas-Krankenhaus einen Vergleich geschlossen. Über den Inhalt dieses Vergleichs ist bislang noch nichts an die Öffentlichkeit getreten, wohl auch deshalb, weil der Rechtsvertreter eine Schweigevereinbarung als Teil des Vergleichs unterschrieben hat. Auf Nachfrage verweist Christine Ingelbach vom Stabsbereich Steuerung und Kommunikation der AOK Heilbronn-Franken auf die laufenden Ermittlungen: „Diesbezüglich müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir uns zu diesem Sachverhalt derzeit aus Rechtsgründen nicht äußern werden. Wir verweisen auf die in Ihrer Anfrage erwähnten andauernden strafrechtlichen Ermittlungen.“
Kern des Verdachts ist, dass sogenannte OPS-Codes – das sind Operations- und Prozedurenschlüssel, mit denen medizinische Leistungen gegenüber Krankenkassen abgerechnet werden – zu Unrecht verwendet worden sein sollen. In den Fokus der Ermittler geraten sein dürfte unter anderem eine Komplexbehandlung, bei der ärztliche Mindestleistungen wie regelmäßige Kontrolluntersuchungen zu festgelegten Zeiten, dokumentiert mit Uhrzeit und Unterschrift, zwingend vorgeschrieben sind. Dazu gehört auch eine kontinuierliche ärztliche Präsenz und Exklusivität auf der jeweiligen Station – praktisch bedeutet dies die ständige Anwesenheit eines diensthabenden Arztes, etwa in Form eines funktionierenden Spätdienstes.
Nach den bisherigen Erkenntnissen soll es jedoch zahlreiche Fälle gegeben haben, in denen diese Voraussetzungen nicht erfüllt waren. Wenn etwa der diensthabende Arzt gleichzeitig mehrere Stationen oder zusätzlich die Notaufnahme betreut, liegt keine exklusive Präsenz mehr vor, wie den vorliegenden Unterlagen zu entnehmen ist. Werden solche Fälle dennoch als vollwertige Komplexbehandlung abgerechnet, entsteht ein falscher Eindruck: Auf dem Papier scheint alles ordnungsgemäß dokumentiert – in Wirklichkeit jedoch fehlten Teile der vorgeschriebenen Betreuung. Nachträgliche Eintragungen in Patientenkurven, wie etwa „18 Uhr, Visite“, könnten den Anschein einer lückenlosen Versorgung erwecken, die so gar nicht stattgefunden hat.
Und genau hier setzt der Vorwurf an: Durch das Vortäuschen erbrachter Leistungen entsteht ein finanzieller Vorteil – Geld von den Krankenkassen, ohne rechtmäßigen Anspruch. Das erfüllt den Tatbestand des Abrechnungsbetruges. In der vorliegenden Angelegenheit könnte sich die Schadenssumme nach Einschätzung von Experten durchaus im siebenstelligen Bereich bewegen. Darüber hinaus prüfen die Ermittler, ob auch der Straftatbestand der Urkundenfälschung erfüllt sein könnte. Denn wenn medizinische Dokumente im Nachhinein verändert oder ergänzt wurden – beispielsweise durch neue Uhrzeiten oder Unterschriften – und diese Unterlagen anschließend im Rechtsverkehr, etwa für Abrechnungen oder Zertifizierungen, verwendet wurden, wäre auch dieser Straftatbestand erfüllt (§ 267 Strafgesetzbuch).
Haftstrafen von sechs Monaten bis zehn Jahre möglich
Sollten sich die Vorwürfe erhärten und der Tatbestand des Betrugs in einem besonders schweren Fall (§ 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB) bestätigt werden, drohen den Beschuldigten empfindliche Strafen – von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Haft. Neben strafrechtlichen Konsequenzen könnten zudem berufsrechtliche Verfahren folgen.
Ein Sprecher der Gesundheitsholding Tauberfranken, unter deren Dach die betroffenen Kliniken organisiert sind, erklärte gegenüber unserer Zeitung: „Wir unterstützen die ermittelnden Behörden nach wie vor vollumfänglich bei ihren Ermittlungen zu einem möglichen Compliance-Fall. Wir haben ein explizites Interesse daran, dass der Sachverhalt vollständig aufgeklärt wird. Wir haben den Verdachtsfall dazu genutzt, unsere internen Abläufe einer regelhaften Überprüfung zu unterziehen und werden dies kontinuierlich fortführen. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns angesichts des laufenden Verfahrens nicht weiter äußern können.“
Damit bleibt festzuhalten: Während im Hintergrund die Auswertung beschlagnahmter Unterlagen weiterläuft, warten Öffentlichkeit und Beschäftigte der Kliniken auf Ergebnisse. Ob es letztlich zu Anklagen kommt, ist derzeit offen.
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