Zeitreise Geschichte

Zentrale der Unterdrückung: Wie ein Museum in Berlin an die Stasi erinnert

Vor 75 Jahren wird der Staatssicherheitsdienst der DDR gegründet. Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 markiert sein totales Scheitern. Ein Blick in die Zentrale und das Büro von Erich Mielke.

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Konstantin Groß
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Das monströse Gebäude des Hauptquartiers der Stasi in der Berliner Normannenstraße ist heute ein Museum. © Konstantin Groß

Berlin. Wer den Raum betritt, ist überascht, ja erschüttert über dessen Banalität. Hier hat Erich Mielke geherrscht, mehr als drei Jahrzehnte gefürchteter Chef der gefürchteten Staatssicherheit, nach dem Parteichef, manche sagen sogar: noch vor ihm mächtigster Mann der DDR. Doch sein Domizil wirkt wie das Büro eines Buchhalters, damit charakteristisch für das DDR-System. Und für die ihm eigene Mischung aus Mief, Macht und Menschenverachtung

Das Minister-Büro, es ist Herzstück der Zentrale der Stasi in der Berliner Normannenstarße. Ein halbes Jahrhundert terrorisiert sie die ostdeutsche Bevölkerung mit heimtückischer Ausspähung und brutaler Gewalt, lehrt mit legendären Spionen westlichen Geheimdiesten das Fürchten. Wie ein Kartenhaus bricht sie dennoch zusammen, nachdem am 9. November 1989, genau vor 36 Jahren, die Berliner Mauer fällt.

17. Juni 1953: Die Stasi scheitert - Obsession für die DDR-Führung

Die Stasi ist fast so alt wie die DDR, entsteht ein halbes Jahr nach deren Gründung: Am 21. Februar 1950 wird das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) geschaffen, sein erster Minister Wilhelm Zaisser, sein Vize ein Mann, der zur Personfizierung des Dienstes mutieren wird: Erich Mielke.

Doch gleich bei seiner ersten Bewährungsprobe versagt das MfS aus Sicht der Machthaber. Den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 kann es weder vorhersagen noch verhindern. Minister Zaisser wird abgesetzt und aus der Partei ausgeschlossen. Die Rache des Systems ist blutig. 6.000 Menschen werden als „Rädelsführer“ verhaftet und zu langen Zuchthausstrafen verurteilt, einige sogar hingerichtet.

Die Sitzgruppe im Büro von Mielke, in der bei Besprechungen über Schicksale von Menschen entschieden wurde. Angesichts dessen atmen sie eine erschreckend miefige Banalität. © Konstantin Groß

Der 17. Juni bleibt die Obsession der Machthaber. Eine Wiederholung muss mit allen Mitteln ausgeschlossen werden. Dafür sorgen soll ein Mann fürs Grobe: Erich Mielke. Sein langer Arm reicht bis ins Ausland: 400 Regimekritiker werden bis Mitte der 1960er Jahre aus dem Ausland in die DDR entführt, 24 davon hingerichtet. Wem man nicht habhaft wird, der wird ermordet. Mielke persönlich erteilt dazu die Aufträge.

Stasi unterstützt Terroristen von Links und Rechts

Um den Westen zu schwächen, unterstützt die Stasi dort sogar Terroristen. Nicht nur die PLO, sondern auch den legendären Carlos und die deutsche RAF. Terroristen wie Christan Klar erhalten ihre Ausbildung durch die Stasi. Als sie in der Bundesrepublik wegen Mordes gesucht werden, erhalten acht von ihnen in der DDR Unterschlupf und eine neue Identität. Das Leben im miefigen Osten wird für manche eine schlimmere Strafe als eine Zelle in Stammheim, wie einige nach ihrer Enttarnung ab 1990 bekennen.

Aktiv beteiligt ist die Stasi an Terroranschlägen in Berlin auf das französische Kulturzentrum 1983, bei dem ein Mensch getötet und 23 schwer verletzt werden, sowie auf die von US-Soldaten besuchte Diskothek La Belle 1986, als drei Menschen sterben und mehrere Hundert verletzt werden. Aber die Stasi unterstützt auch - Hauptsache Chaos im Westen - Nezonazis wie Odfried Hepp und Uldo Albrecht, die sie in der DDR aufnimmt. Der West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras, der 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschießt, ist ebenfalls Agent der Stasi.

Als Auslandsgeheimdienst ausgesprochen erfolgreich

Denn die Stasi ist auch Auslandsgeheimdienst. Alleine in der Bundesrepublik unterhält sie über die jahre insgesamt 12.000 Spione, sogenannte „Kundschafter des Friedens“, unter dem legendären Markus Wolff am Ende 1989 noch 2.000. Sie agieren in allen Bereichen von der Justiz (etwa RAF-Anwalt Klaus Croissant) bis zu den Hochschulen (wie der Mannheimer Politologe Dietrich Staritz).

Im Zentrum steht jedoch der politische Betrieb. Professionelle „Romeos“ werben einsame Sekretärinnen hochrangiger Politiker an. Aber auch diese selbst sind für die Stasi tätig, darunter mehrere Bundestagsabgeordnete wie Wlliam Borm, Präsidiumsmitglid der FDP, Karl Wienand, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD und enger Vertrauter von Fraktionschef Herbert Wehner oder Julius Steiner von der CDU. Gegen 50.000 D-Mark stimmt er 1972 nicht für den Misstrauensantrag seiner Partei gegen SPD-Kanzler Brandt und ermöglicht dadurch, dass dieser im Amt bleiben kann, was im Interesse der DDR ist..

Insofern wird der größte Erfolg der Stasi zugleich ihre größte politische Pleite: Mit einer jahrzehntelang aufgebauten Legende schafft es Günther Guillaume bis zum Persönlichen Referenten Willy Brandts. Doch 1974 fliegt der Kanzlerspion auf, Brandt tritt zurück.

Erich Mielke und die Stasi: Machtvoller Chef eines machtvollen Geheimdienstes

Der Schwerpunkt der Stasi-Arbeit bleibt im Inneren: Ausspähen und Unterdrücken der eigenen Bevölkerung. Zum Zeitpunkt der Wende zählt das MfS 91.015 Hauptamtliche. Die Zahl der inoffiziellen Mitarbeiter (IM), also der Spitzel, liegt bei 173.081.

Ihr Chef ist eine Größe. Über viele hat Erich Mielke ein Dossier, manche sagen, sogar über Honecker, in einem roten Koffer in seinem Safe. Mit Unterlagen aus der NS-Zeit, die den erklärten Widerstandskämpfer kompromitteren. Und natürlich darf Mielkes Lieblingsfußballclub Dynamo Berlin kein Ligaspiel verlieren.

Ein mächtiger und gefürchteter Ort in der DDR: das Büro von Stasi Chef Erich Mielke mit seinem legendären Tresor, in dem er sogar Dossiers über eigene Spitzengnossen lagerte. © Konstantin Groß

Mit der Wende ist seine Macht vorbei. Vier Tage nach dem Mauerfall, am 13. November 1989, spricht Mielke zum ersten und letzten Mal vor der Volkskammer: „Wir haben, Genossen, liebe Abgeordnete, einen außerordentlich hohen Kontakt zu allen werktätigen Menschen“, stammelt er unter dem Gelächter der Abgeordneten: „Ja, wir haben den Kontakt . . . Ich liebe doch alle Menschen . . .Ich setze mich doch dafür ein.“ Der einstmals gefürchtete Mann erscheint als seniler Greis und wird zur banalen Lachnummer.

Wie löst man eine gefürchtete Geheimpolizei auf?

Am 18. November 1989 wird das MfS in Amt für Nationale Sicherheit umbenannt, ihr Chef Wolfgang Schwanitz, bisher Vize von Mielke. Die Täter von einst sollen die Behörde also reinwaschen. Und so setzt eine systematische Vernichtung von Akten ein. Als dies bekannt wird, besetzen Bürger am 4. Dezember 1989 die Bezirksstellen in Erfurt, Leipzig und Rostock und schließlich am 15. Januar 1990 de Zentrale n Berlin. Bürgerwachen werden eingerichtet, um den Erhalt der Akten zu sichern. Trotzdem gelangen 293.000 Karteikarten der Auslandsspionage mit Namen von Agenten in den Besitz der CIA

Am 29. Dezember 1991 tritt das Stasi-Unterlagengesetz in Kraft. Chef der damit geschaffenen Behörde wird der Pfarrer und spätere Bundespräsident Joachim Gauck. Ziel ist die vollsändige Öffnung der Akten, insbesondere für Betroffene. Bei vielen, die sie lesen, führt dies zu schmerzlichn Erkenntnissen, ja zum emotionalen Zusammenbruch: Kollegen, Freunde, teilweise sogar Angehörige haben sie denunziert.

Infos und Tipps zum Stasi Museum Berlin



Sitz: Gebäude Normannenstraße in Berlin Lichtenberg, erbaut 1960/61, von da ab bis 1989 Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR, seit 7. November 1990 Forschungs und Gedenkstätte.

Träger : Antistalinistische Aktion Berlin Normannnstraße e. V., gegründet 1990 von Bürgerrechtlern.

Ziel: Sammlung, Bewahrung, Dokumentation, Aufarbeitung und Ausstellung von Zeugnissen der Arbeit des Staatssicherheitsdienstes.

Zu sehen : Seit 2015 Dauerausstellung, erarbeitet gemeinsam von Astak und Stasi Unterlagenbehörde. Auf dem Freigelände seit 2016 Ausstellung zur Spätphase der DDR, erarbeitet von der Robert Havemann Gesllschaft. Im 2. OG von Haus 1 Ministerbüro von Mielke im Originalzustand.

Stasi Unterlagenbehörde : Gegründet per Gesetz 1991. Leitung: Joachim Gauck (1990 98), Marianne Birthler (1998 2011) Roland Jahn (2011 2021). 2021 wurde die Behörde aufgelöst und ihre Bestände in das Bundesarchiv übrführt.

Umfang : 111 km Akten, 41 Mio. Karteikarten, 1,95 Mio. Fotos, 2.876 Filme und Videos, 23.250 Tondokumente, 15.500 Behältnisse mit noch nicht erschlossenen geschredderten Schriftstücken.

Aufgabe : die Akten der Staatssicherheit zu erhalten bzw. wiederherzustllen (Schnipsel) und sie zugänglich zu machen, sowohl für die Forschung als auch für die Öffentlichkeit. Alle Bürger können Auskunft beantragen, ob über sie eine Akte besteht. www.stasi unterlagen archiv.de. tin

Auch führenden Politikern der Nach-Wende-Zeit wie Manfred Stolpe (SPD) und Gregor Gysi (Linke) wird vorgeworfen, IM gewesen zu sein. Doch mit zunehemender Zeit wird die Aufarbeitung schwieriger - „angeschts dessen, dass die Hälfte der Ostdeutschen die DDR heute positiv beurteilt“, wie der Historiker Hubertus Knabe beklagt.

Zwiespältige Bilanz der Stasi-Aufarbeitung

Die strafrechtliche Aufarbeitung muss zudem als gescheitert gelten. Von 30.000 Emittlungsverfahren gegen MfS-Mitarbeiter führen ganze 20 zu Veurteilungen. Paradebeispiel dafür ist Erich Mielke selbst. Der Mann der 1982 laut Tonbandmittschnitt im engeren Kreis über interne Gegner sagt: „Wenn ich das schon jetzt wüßte, würde er ab morgen nicht mehr leben. Kurzer Prozess. Das ganze Geschwafel von wegen nicht Hinrichtung und nicht Todesurteil - alles Käse, Genossen. Hinrichten, wenn notwendig auch ohne Gerichtsurteil.“

Für seine Verantwortung als Stasi-Chef wird Mielke nie zur Rechenschaft gezogen. Vor Gericht steht er ab 1992 wegen eines Mordes, den er 60 Jahre zuvor, 1932, an einem Polizisten in Berlin begeht. Das Urteil: sechs Jahre Haft. 1995 wird er 87-jährig vorzeitig entlassen, erhält damit jene Gnade, die er seinen Gegner nie gewährt.

In einer Plattenbauwohnung lebt er alleine, nachdem seine Frau ihn verlässt. Journalisten, die ihn vor dem Hauseingang ansprechen, vertreibt er resolut mit dem Stock. Im Jahr 2000 stirbt er in einem Altenpflegeheim und wird in aller Stille beigesetzt. Der russische Geheimdienst erfährt trotzdem davon. Und schickt einen Kranz.

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