Von den Kritikern verschmäht und despektierlich als „Moody Blues für Arme“ bezeichnet, von den Fans jedoch innig geliebt – vor allem in Deutschland: Barclay James Harvest stürmten Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre mit ihren Veröffentlichungen regelmäßig hohe Chartspositionen und hatten einen großen Besucherzuspruch bei ihren Konzerten. Dieser gipfelte mit dem Konzert vor dem Reichstag in Berlin vor knapp 200 000 Leuten. Bandgründer, Sänger und Bassist war damals Les Holroyd. Und mit „Life is for living“ schrieb Les Holroyd einen der größten Hits der Band. Knapp 60 Jahre nach der Bandgründung ist der Brite immer noch unterwegs, nur heißt die Band jetzt Barclay James Harvest, featuring Les Holroyd. Am morgigen Sonntag feiert er seinen 75. Geburtstag und denkt noch lange nicht ans Aufhören.
Erste Schritte als „Blueser“
Der musikalische Werdegang des am 12. März 1948 in Bolton, Lancashire geborenen Les Holroyd startete in der ersten Hälfte der 1960er Jahre. Zusammen mit seinem Schulfreund und späteren Schlagzeuger von Barclay James Harvest, Mel Prichard,sammelte er mit der aus Oldham stammenden Schulband „Heart And Soul And The Wickeds“, auch nur „(The) Wickeds“ genannt, erste Bühnenerfahrungen. „Wir waren eine Bluesband“, erinnert sich Les Holroyd im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten. Nachdem ihr Leadgitarrist ausgestiegen war, taten die beiden sich mit John Lees (Gitarre und Gesang) und Woolly Wolstenholme (Keyboards) zusammen und gründeten 1966 zusammen die Band „The Blues Keepers“. Daraus ging 1967 Barclay James Harvest hervor.
Die Hinwendung zum Progrock
Zusammen mit Manager John Crowther zog man nach Lancashire auf einen alten Bauernhof des 18. Jahrhunderts, um dort zu arbeiten und eigene Songs zu schreiben. Und es erfolgte eine musikalische Kehrtwende vom Blues zum Progrock. „Damals wollten alle progressive Bands sein, das war ziemlich angesagt.“ Schon bald war die nun vollberufliche Band live eine angesagte Nummer. Was sicherlich nicht zuletzt auch daran lag, dass sie bisweilen mit einem 60-köpfigen Orchester auftraten. „Das war schon eine verrückte, experimentierfreudige Zeit und auf der Bühne war natürlich eine Menge los“, blickt Les Holroyd zurück. „Wir bekamen etwa 100 Pfund für einen Auftritt und mussten rund 200 Konzerte im Jahr spielen, damit wir davon leben konnten. Selbst in der angesagten Londoner Location Roundhouse traten sie auf.
Aufgrund des Erfolgs auf der Bühne wollten natürlich auch ambitionierte Neulinge mit der Band auftreten. „Damals spielt David Bowie als Singer/Songwriter bei uns im Vorprogramm, allein nur mit einer zwölfsaitigen Akustikgitarre. Auch The Police eröffneten einige Shows von uns.“
Der Live-Status schlug sich jedoch nicht auf die Plattenverkäufe nieder. Die LPs blieben eher in den Regalen der Plattenläden stehen. Zudem waren die Auftritte mit Orchester eine kostspielige Angelegenheit. Unterm Strich rechnete sich die ganze Sache nicht. Eine Neuausrichtung war unausweichlich und letztendlich der richtige Schritt.
Barclay James Harvest wechselte 1974 Plattenfirma von Harvest zu Polydor. Und schon mit dem ersten Album „Everyone Is Everybody Else“ stiegen die Verkaufszahlen. Was auch daran lag, dass es eine Korrektur bei der musikalischen Ausrichtung gab. Die Songs hatten einen größeren Pop-Einfluss. Holroyd: „Wir waren musikalisch in einer Sackgasse, die uns nicht weiterbrachte. Wollten wir als Band überleben, mussten wir etwas ändern.“
Mit dem Pop kam der Erfolg
Die Fanschar wuchs und mit „Gone to Earth“ kam der große Durchbruch vor allem auf dem europäischen Kontinent und speziell in Deutschland. Nur die Kritiker sowie die Briten zeigten ihnen die kalte Schulter. Auch in den USA bekamen sie keinen Fuß auf die Erde. „In England musste man in London beheimatet sein, um dazuzugehören, wir wollten aber nicht. Wir zogen es vor, auf dem Land zu bleiben.“ Außerdem war zudem Zeitpunkt eine ganz andere Stilrichtung angesagt: Der Punk mit seinen rotzigen Songs begann die etablierte Musikszene aufzumischen und galt als das Ding. Barclay James Harvest liefen eher unter dem Etikett antiquiert. „Um den Markt in den USA zu erobern, hatten wir nicht das richtige Management. Unsere Plattenfirma machte zwar für Europa einen sehr guten Job, aber für die Staaten war das nichts“, hat Les Holroyd eine Erklärung, warum Barclay James Harvest die neue Welt verschlossen blieb.
Open-Air am Reichstag
In Deutschland, der Schweiz und Frankreich waren Barclay James Harvest am Ende der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre mächtig angesagt. Höhepunkt war der Auftritt in Berlin. Holroyd: „Wir kamen schon früh am Nachmittag ans Brandenburger Tor, weil wir einen ausführlichen Soundcheck machen wollten. Im Laufe des Nachmittags kamen immer mehr Leute, es wurde immer voller und voller. Am Abend waren dann, wo man hinschaute, Menschen. Mit der Zunahme der Zuhörer wuchs selbstverständlich erst mal die Aufregung, aber als wir dann auf die Bühne gingen, war das verflogen und es war eine pure Freude zu spielen. Übrigens haben wir danach auch in Ost-Berlin gespielt. Da kamen dann 175 000 Leute, so dass wir in Berlin vor knapp 400 000 Fans gespielt haben.“
Im Jahr 1998 kam es zum Split bei Barclay James Harvest. Seitdem ist der Sänger und Bassist mit „Barclay James Harvest, featuring Les Holroyd unterwegs. Die Band spielt in kleineren und mittleren Hallen und auf Festivals. Ans Aufhören denkt Les Holroyd noch lange nicht. „Ich fühle mich gut und vor Publikum zu spielen ist Freude pur.“ Und so ist er auch dieser Tage mit seiner Band unterwegs.