Moskau/Kiew/Berlin. Russland hat die seit fast zwei Monaten umkämpfte ukrainische Hafenstadt Mariupol nach eigenen Angaben vollständig eingenommen. Das teilte Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin mit. Das Stahlwerk der Fabrik Azovstal, in dem ukrainische Soldaten und Zivilisten ausharren, soll nun nicht mehr gestürmt, sondern hermetisch abgeriegelt werden. Mit der Entwicklung in Mariupol wächst der Druck auf Deutschland, schwere Waffen zur Verteidigung der Ukraine zu liefern. Die Bundesregierung bereitet nun einen Ringtausch für Waffen vor.
Russlands Präsident Putin zeigte sich am Donnerstag im Staatsfernsehen bei dem Treffen mit Schoigu. Der Befehl, das Stahlwerk Azovstal zu stürmen, werde zurückgenommen, so Putin. „Blockiert diese Industriezone so, dass nicht einmal eine Fliege rauskommt.“ Die ukrainischen Kämpfer sollten die Waffen niederlegen, dann würden sie mit dem Leben davonkommen. Putin sprach von einem Erfolg und einer „Befreiung Mariupols“.
Noch etwa 100 000 Einwohner
Die südostukrainische Hafenstadt war schon kurz nach Beginn des von Putin am 24. Februar befohlenen Angriffskrieges gegen die Ukraine von russischen Truppen eingekreist worden. Mariupol hatte vor dem Krieg mehr als 400 000 Einwohner, nun sind es noch etwa 100 000. Es wurde bei den Gefechten weitgehend zerstört. Mehrere Versuche einer geordneten Evakuierung von Zivilisten schlugen fehl.
Die ukrainische Regierung forderte von Russland für das Stahlwerk nahe der Stadt die Einrichtung eines humanitären Korridors. „Dort befinden sich gerade etwa 1000 Zivilisten und 500 verwundete Soldaten. Sie müssen alle heute aus Azovstal herausgeholt werden!“, schrieb Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk am Donnerstag im Nachrichtenkanal Telegram. Sie rief „die Welt“ dazu auf, alle Anstrengungen auf das Stahlwerk zu konzentrieren. „Das ist jetzt der Schlüsselpunkt und der Schlüsselmoment für die humanitären Bemühungen.“ Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock forderte von Putin, die Evakuierung der Stadt zu ermöglichen. „Die Lage ist nicht nur hochdramatisch, sie ist kaum zu ertragen“, sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstag nach einem Treffen mit ihrer estnischen Amtskollegin Eva-Maria Liimets in der Hauptstadt Tallinn.
„Probeangriffe“ entlang der Front
Russische Truppen stoßen in der Ukraine derweil weiter vor, die befürchtete Großoffensive im Osten könnte jedoch erst noch bevorstehen. Entlang der gesamten Front in den Gebieten Donezk, Luhansk und Charkiw griffen die Russen zwar seit Dienstag an, sagte der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrats, Olexij Danilow, in einem Radio-Interview. Es handele sich aber wahrscheinlich erst um „Probeangriffe“. Der Großteil von Luhansk ist allerdings nach ukrainischen Angaben bereits unter russischer Kontrolle.
Die Bundesregierung bereitet nun einen Ringtausch für die Lieferung schwerer Waffen vor. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur soll dabei der Nato-Partner Slowenien eine größere Stückzahl seiner Kampfpanzer an die Ukraine abgeben und aus Deutschland dafür den Schützenpanzer Marder sowie den Radpanzer Fuchs erhalten. dpa